Netzwerk wappnet sich für den demografischen Wandel

„Mitarbeiter kommen wegen des Unternehmens und gehen wegen dem Chef“ – so lautet eine alte Weisheit, die unter anderem durch die Ergebnisse einer Gallup-Studie gestützt wird. Angesichts der demografischen Entwicklung wird es jedoch immer wichtiger, bei der Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitern alle Potenziale auszuschöpfen, statt die eigenen Leute zu vergraulen. Welche Möglichkeiten dafür zur Verfügung stehen, untersucht seit 2007 das WISE Demographie Netzwerk, in dem Wissenschaftler und Unternehmen gemeinsam an unternehmensspezifischen, wissenschaftlich fundierten Lösungen demografiebedingter Personalprobleme arbeiten.

Das Netzwerk umfasst zwölf – meist sehr große – Partnerunternehmen, darunter ArcelorMittal, die Daimler AG und Werder Bremen. Gegründet wurde es von Dr. Sven Voelpel, Professor of Business Administration an der Jacobs University, beteiligt sind aber auch rund 20 weitere Wissenschaftler aus Universitäten wie dem Massachusetts Institute of Technology, der Harvard University und der Hebrew University in Jerusalem.

Schwerpunktthemen wie Wissenstransfer und Talentmanagement

Laut Voelpel will WISE sich in Zukunft auch stärker für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) öffnen. „Die demografische Entwicklung ist nicht nur für Große ein Problem, sondern für Kleine fast noch mehr“, erklärt er. Bekannte Konzerne zählten noch immer zu den beliebtesten Arbeitgebern und verzeichneten daher kaum einen Mangel bei der Quantität der Bewerbungen – eher bei der Qualität. „Bei manchen kleinen Unternehmen bewirbt sich in Zukunft vielleicht gar keiner mehr.“

Dennoch hätten auch KMU bestimmte Vorteile, die sie ausspielen können. „Sie können Maßnahmen viel schneller umsetzen“, betont der Jacobs-Professor. „Kleine Unternehmen können sofort Gas geben. Bei den Großen setzt man ein Projekt auf und dann dauert es manchmal zwei bis drei Jahre, bis es tatsächlich anfängt.“ Das WISE Demographie Netzwerk trifft sich halbjährlich an wechselnden Orten und behandelt dabei Schwerpunktthemen wie Wissenstransfer oder Talentmanagement. Im Fokus stehen dabei vor allem auch die drei Bereiche „Recruiting“, „Retention“ und „Retirement“.

Recruiting: Wie kommt man an die besten Fachkräfte?

Der wichtigste Faktor beim Recruiting ist laut Voelpel die Kreativität. Er nennt ein persönliches Beispiel: Auch in der Wissenschaft seien Talente zurzeit sehr umworben. Um an gute Bewerber für Doktorandenstellen zu kommen, hat Voelpel jetzt einige Hebel in Bewegung gesetzt. So erhalten die Ausgewählten nicht nur einen Doktor in Betriebswirtschaft von der Jacobs University, sondern parallel auch einen Doktor in Sozialpsychologie von der Freien Universität Amsterdam – der weltweit anerkanntesten in diesem Bereich. Angestellt werden die Doktoranden bei Unternehmen wie Deutsche Bahn, Daimler, EnBW oder Mars. Nicht zuletzt können sie auch in die Unternehmen des WISE-Netzwerks hineinschnuppern. „Da haben wir einen klaren Mehrwert geschaffen“, so Voelpel.

Ein weiteres Beispiel sei die Veranstaltung „Let’s Benz“, mit der das Mercedes-Werk Bremen um Nachwuchskräfte wirbt. Aufgrund der großen Resonanz habe sich das Unternehmen zuletzt die besten 0,7 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber aussuchen können. Auch KMU könnten jedoch kreative Lösungen finden, um Mitarbeitern Mehrwerte zu bieten. „Jedes Unternehmen kann sich aussuchen, in welche Richtung es gehen will“, so Voelpel. Ein kolumbianisches Unternehmen – vergleichbar mit Starbucks – stelle beispielsweise nur Mütter ein, weil diese motivierter, verlässlicher und kollegialer im Umgang seien. Auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen komme für viele Betriebe in Frage – Google sei hier ein bekanntes Beispiel („Die haben auch mal klein angefangen“, betont Voelpel).

Tendenziell müssten sich Arbeitgeber darauf einstellen, dass die Bedürfnisse und Ansprüche der Bewerber immer vielfältiger werden, z.B. bezüglich der Arbeitszeiten oder des Arbeitsplatzes. „Man muss die Bedingungen dafür schaffen, dass die Leute in die gewünschte Richtung gehen können.“ Wichtigste Maxime sei jedoch: „Get the right people on the boat.“ Wenn man die besten Leute habe, so Voelpel, „ist es eigentlich egal, was die vorher gemacht haben. Jemand, der fähig ist, kann sich in die meisten Sachen einarbeiten.“

Retention: Wie hält man die guten Mitarbeiter?

Die Jacobs-Wissenschaftler setzen sich auch mit dem Thema Fluktuation auseinander. „Wir haben festgestellt, dass Führung der größte Stellhebel ist, um in einer Organisation etwas zu ändern“, erklärt Voelpel. „Die Art der Führung beeinflusst, wie groß der Wille ist, im Unternehmen zu bleiben.“ Aktionismus helfe dabei aber nicht weiter. „Die meisten Chefs denken, sie müssen aktiv sein und viel machen“, so Voelpel. Der wichtigste Faktor sei jedoch ein anderer: „Empathisches Zuhören hat ganz starke Effekte auf den Wunsch, im Unternehmen zu bleiben. Wir finden viel Evidenz dafür, dass Zuhören auch viel wichtiger ist als sprechen. Der Chef muss gar nicht unbedingt aktiv reagieren, er muss einfach nur ein offenes Ohr haben für die Mitarbeiter. Das ist einer dieser Faktoren, die wesentlich stärkere Auswirkungen haben als der monetäre Anreiz.“

Dies werde auch durch andere Studien untermauert. Ärzte würden beispielsweise häufiger verklagt, wenn sie wenig zuhören. Ähnliches gelte für Rechtsanwälte. Wenn es darum geht, Mitarbeiter zu halten, verspricht der transformationale Führungsstil unterdessen die besten Ergebnisse. Dabei wird eher emotional geführt und den Mitarbeitern werden Visionen vermittelt – im Gegensatz zum transaktionalen Führungsstil, bei dem vor allem auf höchstmögliche Entlohnung gesetzt wird. „Die Mitarbeiter werden dann auch viel begeisterter über die Chefs und das Unternehmen sprechen“, betont Voelpel. „Man identifiziert sich mit dem Unternehmen ganz stark über die Führungskraft.“

Retirement: Wie erhalten Mitarbeiter lange ihre Leistungsfähigkeit?

Das starre System, in dem Menschen mit 65 oder 67 Jahren in Rente geschickt werden, sollte nach Meinung der Wissenschaftler aufgelöst werden. Manche seien schon mit 45 kaum mehr belastbar, andere mit 80 noch topfit. Vor allem wirke sich jedoch der abrupte Wechsel vom Arbeiten zum Nichtstun sehr negativ auf das Gehirn und die Gesundheit aus, so Voelpel. Eine längere Übergangsphase und ein aktiver Ruhestand seien für den Menschen sehr wichtig und ermöglichten dem Unternehmen einen besseren Wissenstransfer. Dies sei jedoch ein schwieriges politisches Thema.

Gerade IT-Unternehmen setzen meist auf jungen Nachwuchs aus den Hochschulen. Grundsätzlich könnten jedoch auch ältere Mitarbeiter problemlos komplexe neue Aufgaben lernen. Zwar hätten Untersuchungen gezeigt, dass die Lernfähigkeit und auch die Lernstruktur mit zunehmendem Alter in den meisten Fällen abnehmen, berichtet Voelpel. Es gebe jedoch einige wenige Unternehmen wie die Otto Group, bei deren Beschäftigten es umgekehrt sei: je älter sie werden, desto besser lernen sie. Dies liege daran, dass dort alle Führungskräfte jedes Jahr mindestens ein Trainingsprogramm absolvieren. „Es ist extrem wichtig für Unternehmen, ihre Mitarbeiter permanent zum Lernen anzuhalten, damit sie auch in Zukunft noch gewappnet sind. Das ist das A und O.“

Hinzu kommen weitere Faktoren wie die sportliche Bewegung und der ausreichende Schlaf. Mittagsschlaf erhöhe beispielsweise die Produktivität sehr stark. „Solche Maßnahmen sind in unserer Kultur noch nicht richtig verankert“, so Voelpel. „Wenn jemand sagt, er will sich mittags hinlegen, dann wird er schief angeguckt.“ Aber der Mittagsschlaf führe erwiesenermaßen zu größerer Lernfähigkeit, höherer Produktivität und besseren Entscheidungen.

Umfassendes Informationsangebot

Unternehmen, die dem WISE-Netzwerk beitreten möchten, haben zwei Möglichkeiten: Entweder über eine Pool-Mitgliedschaft oder über die Finanzierung eines Doktoranden. Gerade für Unternehmen in wissensintensiven Bereichen kann die Zusammenarbeit laut Voelpel sehr interessant sein und einen starken Mehrwert bringen, nicht zuletzt durch die Datenbank mit den Präsentationen und Studien aus der gesamten Zeit seit 2007. Im Falle von kleinen Unternehmen sei zu überlegen, ob die Mitgliedschaft über einen Verband organisiert werden könne.

Weitere Infos: www.jacobs-university.de/wdn