Digitalisierung als Katalysator der Energiewende: Modellprojekt im Nordwesten
Die Entwicklung der erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne und Biomasse ist bereits sehr weit gediehen, allerdings muss zur kompletten Umstellung auf diese Technologien noch eine zentrale Anforderung erfüllt werden: Der Strom muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar sein. Deswegen wird aktuell zum einen über neue Stromtrassen gestritten, die den Transport der Energie aus den Offshore-Windparks in die süddeutschen Bundesländer gewährleisten sollen. Zum anderen wird fieberhaft an neuen Speicherlösungen geforscht – von leistungsstarken Batterien über riesige Pumpwerke bis zur Erzeugung von Wasserstoff als Energieträger.
Die wichtigste Rolle im weiteren Verlauf der Energiewende kommt allerdings der Digitalisierung zu: Intelligente IT-Lösungen können helfen, mit deutlich weniger verfügbarem Strom wesentlich mehr zu erreichen. Und sie ermöglicht eine starke Dezentralisierung der Energieversorgung, sodass der Bedarf an teurer – und bei der Bevölkerung unbeliebter – Infrastruktur reduziert wird.
„Schaufenster intelligente Energie“ an der Nordsee
Das Bundeswirtschaftsministerium hat daher im vergangenen Jahr das Förderprogramm „Schaufenster intelligente Energie“ gestartet. Dessen Ziel ist es, in großflächigen Modellregionen massentaugliche Musterlösungen für eine klimafreundliche, sichere und effiziente Energieversorgung bei hohen Anteilen schwankender Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie zu entwickeln. Im Zentrum stehen dabei die intelligente Vernetzung von Erzeugung und Verbrauch sowie der Einsatz innovativer Netztechnologien und -betriebskonzepte.
Eines der fünf ausgewählten Modellprojekte ist im Nordwesten angesiedelt: „Enera“ vereint 75 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik – weitere Partner sind willkommen, auch Neugründungen von Unternehmen gehören zum Konzept. Für die regionale IT- und Medienbranche bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte und potenzielle neue Märkte, denn die Digitalisierung der Energienetze steht erst am Anfang.
„Netz, Markt und Daten sind die Projektbausteine, mit denen der Aufwand für den konventionellen Netzausbau verringert und damit zusätzliche Kosten für Verbraucher vermieden werden können“, betont der ehemalige EWE-Vorstandsvorsitzender Werner Brinker, der das Projekt mit angeschoben hatte. „Enera besitzt das Potenzial, die Blaupause für Deutschland zu sein und den nächsten großen Schritt der Energiewende zu bilden.“
Intelligente Netze und intelligente Märkte verknüpfen
Das Enera-Konsortium, das von der EWE AG in Oldenburg initiiert wurde, besteht unter anderem aus Unternehmen und Instituten wie Enercon, Tennet, 3M, SAP, Siemens, RWTH Aachen, Offis, BTC und Next Energy. Aus Bremen sind auch die Jacobs University und Schulz Systemtechnik mit dabei. Für die Realisierung des Projekts stehen rund 200 Millionen Euro zur Verfügung.
Das Konsortium will zeigen, dass sogenannte „Smart Grids“, „Smart Markets“ und eine intelligente IT-Infrastruktur zusammenwachsen können. Den Weg haben in den vergangenen Jahren zunächst kleinere Projekte bereitet. Bei „Enera“ handelt es sich nun um einen groß angelegten Feldversuch in den Landkreisen Friesland, Wittmund und Aurich sowie der Stadt Emden. Dank ihrer hohen Einspeisung von erneuerbaren Energien in das Stromnetz – mit einem bilanziellen Anteil von über 170 Prozent – bildet die Modellregion einen idealen Untersuchungsraum.
Installation von 40.000 Messsystemen geplant
Im Rahmen von Enera soll das Energiesystem vor allem flexibilisiert werden, indem bei Erzeugern, Verbrauchern und Speichern technisch nachgerüstet und das Netz ertüchtigt wird. Dies ist unter anderem wichtig, weil die Grenze zwischen Erzeugern und Verbrauchern zunehmend verschwimmt: Haushalte speisen beispielsweise Solarenergie ins Netz ein, Kühlhäuser nehmen nachts überschüssige Energie auf und geben sie zu Zeiten des Spitzenbedarfs wieder ab, und Autobatterien können künftig ebenfalls Energie zwischenspeichern, wenn das Fahrzeug nur in der Garage steht. In der Modellregion ist deshalb unter anderem die Installation von bis zu 40.000 intelligenten Messsystemen geplant.
Dezentrale Anlagen ermöglichen auch weitere Systemdienstleistungen, beispielsweise die Spannungshaltung, um lokal das Netz zu stabilisieren. Dadurch kann die Zuverlässigkeit der zukünftigen Stromversorgung trotz stärker schwankender Einspeisung erhöht werden. Die regionalen Systemdienstleistungen sollen künftig auch an den Strommärkten gehandelt werden können. Die dafür notwendigen Daten- und IT-Strukturen werden ebenfalls im Rahmen des Projekts Enera geschaffen.
Projektpartner suchen weitere Kompetenzen
Die EWE lädt Unternehmen und Einzelpersonen ein, ihre Kompetenzen in das Projekt einzubringen. Darüber hinaus werden Start-ups gesucht, die ihre Ideen und Geschäftsmodelle für die intelligente Energieversorgung der Zukunft gemeinsam mit Enera umsetzen wollen.
Infos der Deutschen Energie-Agentur: www.effiziente-energiesysteme.de/themen.html