Digitaler Wandel erfordert mehr Anstrengungen von Wirtschaft und Politik
Die „Expertenkommission Forschung und Innovation“ (EFI) sieht in Deutschland erheblichen Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Die Politik müsse den digitalen Wandel gezielter unterstützen, damit traditionelle Wettbewerbsvorteile der einheimischen Wirtschaft nicht verloren gehen, fordern die Experten.
Auch die Unternehmen selbst – insbesondere die kleinen und mittelständischen – müssten die Dringlichkeit erkennen. „Deutschland ist auf den digitalen Wandel noch nicht hinreichend vorbereitet“, kritisiert die Kommission in ihrem aktuellen „Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit“. In der Förderung durch die Politik werde der Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien immer noch nicht ausreichend berücksichtigt.
„Das Urteil muss ein Weckruf sein“
Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. schließt sich der Kritik an. „Die Politik setzt Deutschlands Zukunft aufs Spiel, wenn notwendige Investitionen nur halbherzig oder gar nicht angegangen werden“, beklagt BVDW-Präsident Matthias Wahl. „Genau das ist aber seit Jahren der Fall. Zwar zweifelt niemand daran, dass immer größere Teile der Arbeitswelt in Zukunft von einer leistungsstarken digitalen Infrastruktur abhängen. Doch seit Jahren wird dieser Bereich weitgehend ignoriert.“
Schon seit längerem fordert der BVDW, Deutschlands Bereitschaft für das Digitalzeitalter zu fördern. Dazu gehöre nicht nur der Ausbau eines international konkurrenzfähigen Breitbandnetzes, sondern auch die Vermittlung digitaler Kompetenzen an die junge Generation, so Wahl: „Beides wurde sträflich vernachlässigt, die unbedingt notwendigen Mittel wurden nicht bereitgestellt.“
Der BVDW-Präsident stellt klar: „Das harte Urteil der Expertenkommission muss ein Weckruf sein. Es wird Zeit, dass dieses wichtige Zukunftsthema den Rang einnimmt, der ihm zusteht. Die Bundesrepublik Deutschland benötigt ein eigenes Ministerium für den digitalen Wandel. Dieses Themengebiet darf nicht länger auf verschiedene Ministerien aufgeteilt werden. Die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft entscheidet sich nicht länger im Autobahnbau, sondern im Ausbau von Hochgeschwindigkeits-Datenleitungen.“
Ziele für das Jahr 2025
Die EFI-Gutachter empfehlen der Politik, sich ambitionierte Ziele zu setzen, um die Defizite beseitigen und die Fortschritte bewerten zu können. Für den Zeitraum bis 2025 schlagen sie daher drei übergeordnete Zielsetzungen vor:
• Zu den fünf führenden Nationen im Bereich digitaler Infrastruktur aufschließen.
• Anteil der Fördermittel im Bereich Digitalisierung verdoppeln.
• Vorreiterrolle im E-Government einnehmen.
„Digitaler Wandel vollzieht sich schnell“, betont die Kommission. „Die dafür zentralen Technologien und Geschäftsmodelle gehören nicht zu den Kernstärken des deutschen F&I-Systems. Gerade für Deutschland stellt die digitale Transformation eine radikale Innovation dar, die langfristig erarbeitete Wettbewerbs- und Spezialisierungsvorteile in Frage stellt.“
Die Bundesrepublik müsse daher in den kommenden Jahren neue technische und ökonomische Stärken aufbauen, erklärt EFI. „Dazu bedarf es konsequenter und zügiger Politikmaßnahmen. Mit deren Umsetzung sollte in der neuen Legislaturperiode unmittelbar begonnen werden.“
Konkret schlägt die Kommission sechs Maßnahmen vor:
1. Zukunftsfähige Infrastruktur aufbauen
Als erstes nennt sie den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Deutschland dürfe sich nicht an den Durchschnittswerten der OECD orientieren, sondern müsse hinsichtlich Leistungs- und Ausbaufähigkeit führend sein.
2. KMU im digitalen Wandel unterstützen
Im Unternehmenssektor drohe derzeit eine „digitale Spaltung“: „Nicht alle KMU scheinen die Bedeutung der anstehenden Veränderungen wahrzunehmen.“ Die Expertenkommission fordert daher die Einrichtung eines Programms „KMU Digital“, in dem wie im ZIM-Programm KMU antragsberechtigt sind und für die Planung und Umsetzung von Digitalisierungsprojekten staatliche Unterstützung erhalten können.
3. Digitale Bildung ausbauen
„Die Bevölkerung in Deutschland ist im Umgang mit digitalen Technologien und Daten weniger erfahren als die in anderen Ländern“, betont die Kommission. „Wichtig erscheint vor diesem Hintergrund eine breit angelegte Förderung von Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien und Modellen – in allen Ausbildungs- und Weiterbildungssegmenten.“ Unter anderem sei Informatik als neue Schlüsseldisziplin zu begreifen und stärker als bisher in die Curricula anderer Ausbildungsgänge einzubeziehen.
4. Gezielte Forschungsförderung für Start-ups einführen
„Die Belange von Start-ups werden in der FuE-Förderung bisher nicht ausreichend berücksichtigt“, so die Kommission. Sie schlägt vor, das Exist-Programm um eine weitere Forschungskomponente zu ergänzen. Diese sollte auf den schon etablierten Gründerstipendien aufbauen und den Geförderten die Möglichkeit geben, für kurzfristig anfallende Forschungsaufgaben entsprechende Personalkapazitäten zu finanzieren.
5. E-Government und Open Data als Innovationstreiber nutzen
„Deutschland hat bei der digitalen Abwicklung von Regierungs- und Verwaltungsprozessen – dem sogenannten E-Government – nach wie vor Nachholbedarf, der sich in einem begrenzten und wenig nutzerfreundlichen Angebot digitalisierter öffentlicher Dienstleistungen widerspiegelt“, kritisieren die Gutachter. „Zudem werden die Datenbestände der öffentlichen Hand noch nicht standardmäßig als Open Government Data über gut strukturierte Zugänge bereitgestellt.“ Rechtliche Rahmenbedingungen müssten so gesetzt werden, dass neue Modelle der digitalen Wirtschaft in sinnvoller Weise und zügig eingeführt werden können. „Bestandsschutz und Vergünstigungen für etablierte Geschäftsmodelle – so durch Einführung neuer Schutzrechte – gefährden auf Dauer die Wettbewerbsfähigkeit Europas als Standort für die digitale Wirtschaft.“
6. Governance der Digitalpolitik schlagkräftiger gestalten
Die Expertenkommission befürwortet eine stärkere Bündelung der bisher fragmentierten und zum Teil gegenläufigen Aktivitäten der mit der Digitalen Agenda beauftragten Ressorts. „Vor allem muss es in der nächsten Legislaturperiode gelingen, schnell weitere Maßnahmen zur Stärkung der digitalen Infrastruktur, Forschung und Innovation (vor allem bei KMU) in die Tat umzusetzen“, betont sie. Mögliche Lösungen wären eine bereits im Bundestag diskutierte Innovationsagentur, eine Koordinationsstelle im Bundeskanzleramt oder die Bildung eines Digitalministeriums mit weitreichenden Zuständigkeiten.
Nachholbedarf auch in Bremen
Mittelständische Unternehmen in Bremen und Niedersachsen haben bei der Digitalisierung unterdessen noch Nachholbedarf gegenüber Unternehmen in Berlin und Bayern, wie eine Studie der Commerzbank im vergangenen Jahr ermittelte. Firmen, die in diesem Bereich Handlungsbedarf sehen, erhalten bei bremen digitalmedia umfassende Unterstützung, beispielsweise für die Nachwuchsgewinnung und -förderung, den Anschub von Innovationsaktivitäten oder die Anbahnung von Kooperationen.