Digitale News ganz neu gedacht: Das „Tinder“ unter den Nachrichten-Apps
Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für seriösen Journalismus ist eine der schwierigsten Aufgaben, die mit der Digitalisierung einhergehen. Dass es sich gleichzeitig um eine äußerst drängende Aufgabe handelt, zeigten die Anhörungen im amerikanischen Kongress in der vergangenen Woche: Die großen Plattformen Facebook, Google und Twitter, die weltweit für viele Menschen eine zentrale Rolle bei der Beschaffung aktueller Informationen spielen, mussten sich für die möglicherweise wahlentscheidende Verbreitung von Falschmeldungen verantworten – ohne echte Lösungen für das Problem präsentieren zu können.
Besonders schwierig ist es für die klassischen Medienhäuser, junge Zielgruppen zu erreichen, die nicht mit der gedruckten Tageszeitung aufgewachsen sind. Wissenschaftler aus Bremen und Hamburg wollen für diese Nutzer nun eine innovative Nachrichten-App entwickeln, die sich an deren Wünschen und Gewohnheiten orientiert – nicht an den relativ starren Vorstellungen der Verlage und Rundfunkanstalten. Als Vorbild dient dabei die international populäre Dating-App „Tinder“, die den Markt der Kontaktbörsen mit einem neuen Konzept revolutioniert hat.
Uninteressante Nachrichten einfach wegwischen
„Tinder ist für uns dabei vor allem eine Metapher“, erklärt Professor Andreas Hepp vom Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) an der Universität Bremen. „Die App soll zeigen, was möglich ist, wenn man das Denken umdreht und nicht von den Gewohnheiten und Interessen von Medienunternehmen ausgeht, sondern von denen der Nutzerinnen und Nutzer.“ Das ZeMKI kooperiert dabei mit dem Institut für Informationsmanagement (ifib) an der Universität Bremen und dem Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt bis 2019 mit rund 640.000 Euro.
Wie der Prototyp am Ende aussehen und funktionieren wird, ist noch vollkommen offen. Im nächsten Dreivierteljahr wollen die Projektteilnehmer zunächst eine Serie von co-kreativen Workshops ausrichten, bei denen verschiedene Bezugsgruppen – zum Beispiel potenzielle Nutzerinnen und Nutzer, aber auch Journalisten und Vertreter lokaler Institutionen – ihre Anforderungen an eine lokale Nachrichten-App definieren sollen (Interessenten können sich aktuell noch zur Teilnahme melden). Anschließend wollen die Wissenschaftler die verschiedenen Perspektiven in einer App vereinen. Nicht zuletzt geht es dabei auch um das Ausloten möglicher Geschäftsmodelle.
Welche Funktionalitäten dann enthalten sein werden, ist noch unklar, aber das bekannte Tinder-Prinzip wäre eine denkbare Möglichkeit: Die Nutzerinnen und Nutzer würden Informationen durch Wischen in der App als interessant oder uninteressant einstufen können. Dadurch würde die intelligente App die individuellen Vorlieben kennenlernen und entsprechend selektierte Nachrichten anbieten. „Gleichzeitig könnte man dieses Muster immer wieder durchbrechen, um das Entstehen einer Filterblase zu vermeiden“, so Hepp. So könnten beispielsweise Nachrichten, die von anderen Usern als besonders interessant eingestuft wurden, in den persönlichen Feed gespült werden.
Beteiligungsmöglichkeit für lokale Institutionen
Die Zielgruppe der App sind junge Menschen zwischen 16 und 36 Jahren. Durch die Beteiligung lokaler Institutionen soll unter anderem sichergestellt werden, dass eine kritische Masse an Informationen erzeugt wird – neben der Medien- und Digitalwirtschaft sollen beispielsweise Stadt- und Gemeindeverwaltungen, Stadtteilbeiräte sowie politische Parteien und Verbände eingebunden werden. Auch Sportvereine, Bürgerinitiativen, Kunstvereine, soziale Bewegungen mit Lokalbezug oder religiöse Gemeinden sollen Veranstaltungen oder sonstige Informationen bekannt machen können.
Der Fokus wird dabei auf der Stadt Bremen sowie den angrenzenden Landkreisen Osterholz und Verden liegen. Für die konkrete App-Entwicklung soll ein regionales Unternehmen eingebunden werden, das per Ausschreibung gesucht wird.
Vertreter von Institutionen, die sich für eine Beteiligung an dem Projekt interessieren, können sich beim ZeMKI melden.