Mit kreativer Kollaboration gegen den Stau

Über 30.000 Baustellen blockieren in Hamburg jedes Jahr den Verkehr. Bei dieser Zahl ist es für einzelne Verkehrsplaner und Stadtentwickler fast unmöglich, die Übersicht zu behalten – zumal auch andere Organisationen im Stadtgebiet herumbuddeln, beispielsweise Energieversorger und Wasserwerke. Wo eigentlich der umgeleitete Verkehr abfließen sollte, tauchen plötzlich neue Bagger auf und der Verkehrsinfarkt ist perfekt.

Die Probleme sollen in Zukunft jedoch deutlich reduziert werden – dank „kreativer Kollaboration“ am Multitouchtisch. Wie diese moderne Form der Zusammenarbeit aussieht und welche weiteren Arten von Problemen sie lösen kann, erfuhren die Teilnehmenden des Stammtischs von bremen digitalmedia am 19. April im Schuppen 1.

Produktiver arbeiten mit „Software, die Spaß macht“

Gäste waren Frank Groth von der neusta project one (Bremen) und Holger Breitling von der WPS Workspace Solutions GmbH (Hamburg). Bei WPS handelt es sich um eine Ausgründung aus der Universität Hamburg, die sich zum Ziel gesetzt hat, den „Arbeitsplatz der Zukunft“ zu ermöglichen. „Wir wollen Business Software entwickeln, die Spaß macht“, so Breitling.

Früher habe in diesem Bereich oft die Haltung vorgeherrscht, die Nutzer hätten keine Wahl, sondern müssten eine bestimmte Software beruflich nutzen, also müsse diese nur gerade gut genug sein. Dann sei jedoch die Smartphone-Revolution gekommen – und jeder sei nun beispielsweise eine nutzerfreundliche Handhabung und ein ansprechendes Design gewöhnt. „Sonst werden Apps einfach wieder gelöscht“, so Breitling. „Man sieht aber auch, dass es viel produktiver ist, wenn die Arbeit mit der Software Spaß macht.“

Alle können sich direkt beteiligen

Ein Fokus liegt dabei auf der Zusammenarbeit im Team. Digitale Gruppenarbeit sieht bis jetzt oft so aus, dass alle Teilnehmer auf einen Bildschirm schauen und eine Person die Hoheit über Maus und Tatstatur innehat. Spontan ins Geschehen einzugreifen, ist den übrigen Teilnehmern praktisch nicht möglich. Breitling präsentierte im Schuppen 1 eine Alternative in Form eines Multitouchtischs: Jeder Teilnehmer kann unmittelbar in einen kreativen Prozess einsteigen und seine Gedanken sofort digital visualisieren.

Das Besondere dabei: Die Technik unterstützt die persönliche Zusammenarbeit von Menschen, sodass völlig neue Arbeitsprozesse ermöglicht werden – mit deutlich besseren Ergebnissen als zuvor.

Flexibler visueller Überblick über geplante Baustellen

Ein Beispiel ist die Vermeidung überflüssiger Staus. Breitling stellte eine Software-Anwendung vor, die speziell für den Multitouchtisch entwickelt wurde, um die Koordination zwischen allen Beteiligten in Hamburg bei der Planung von Baustellen zu verbessern. Statt Zehntausende von Projekten in Excel-Dateien durchsuchen zu müssen, die möglicherweise auch durch Schreibfehler oder unterschiedlich gewählte Bezeichnungen ein unvollständiges Bild liefern, bietet der Tisch einen visuellen Überblick über alle geplanten Projekte der nächsten Jahre auf einem Stadtplan.

Dabei können verschiedene Variablen verändert werden, beispielsweise der betrachtete Zeitraum, die relevante Organisation und natürlich der Kartenausschnitt. Darüber hinaus lassen sich viele Details einblenden, darunter die geplante Dauer einer Maßnahme, die Kontaktdaten der Projektverantwortlichen oder auch die Termine großer öffentlicher Veranstaltungen oder die Zeiten der Schulferien. Vor allem jedoch können auf dem Tisch konkrete Szenarien für künftige Baumaßnahmen und entsprechende Umleitungsstrecken entwickelt werden, die sich dann speichern lassen, um später von den Entscheidungsträgern freigegeben zu werden.

Neben der Stauvermeidung hat all dies einen weiteren Vorteil: Die Nutzung von Baumaschinen kann besser überblickt werden, sodass deren Auslastung optimal gesteuert wird.

Havarien im Hafen vermeiden

Eine ähnliche Software wurde für den Hamburger Hafen entwickelt. Dort wurden bis jetzt manuell ständig neue Karten produziert, um die rapiden Veränderungen der Wassertiefen beim Dirigieren der Schiffe an ihre Liegeplätze im Auge zu behalten – mit Hunderten von einzelnen Messwerten, die aufgrund der Strömungen und Sedimentablagerungen in allen Winkeln konstant neu gemessen werden. Diese können jetzt per App direkt vom Boot eingespeist werden. Die Crew im Leitstand muss nun auch keine Papierbote mehr über die Landkarte schieben, um zu ermitteln, ob die Wassertiefe für ein Wendmanöver ausreicht, sondern kann ein virtuelles Schiff im Display des Multitouchtisches navigieren. Auch dort lassen sich die Variablen anpassen, z.B. für die Tageszeit, die Einfluss auf Ebbe und Flut hat.

Der Tisch eignet sich laut Breitling oft besonders gut für Kooperationen zwischen verschiedenen Behörden, Organisationen oder Abteilungen. „Man sieht auch an der Körpersprache der anderen, ob sie eine Lösung gut finden oder nicht“, erklärte er. Diese Form der Zusammenarbeit ermögliche daher die effiziente Abstimmung von Vorgehensweisen bei Projekten mit großen Datenvolumen, vielen variablen Faktoren und mehreren beteiligten Akteuren. Anfragen für vergleichbare Lösungen kommen daher laut Breitling bereits aus mehreren weiteren deutschen Städten.