Im IT-Bereich droht Europa, gegenüber den USA und verschiedenen asiatischen Staaten weiter an Boden zu verlieren. Die europäische FIWARE-Initiative – der Name setzt sich aus „Future Internet“ und „Software/Hardware“ zusammen – soll nun der Startup-Szene in der EU zu neuem Elan verhelfen. An einem Teilprojekt ist auch das Bremer Institut ATB beteiligt: Gründer und kleine Unternehmen haben die Möglichkeit, sich die Entwicklung neuer Anwendungen an der Schnittstelle von Lebensmitteln, Landwirtschaft und Logistik mit bis zu 150.000 Euro fördern zu lassen.
Gestartet wurde die Initiative im Jahr 2011 als Reaktion auf die Wirtschaftskrise, um die europäische IT-Wirtschaft zu stärken. Insgesamt ist sie mit 500 Millionen Euro ausgestattet, wobei 300 Millionen Euro von der EU bereitgestellt werden und 200 Millionen Euro von den beteiligten Unternehmen und Institutionen hinzukommen.
Open-Source-Software steht allen Interessenten zur Verfügung
Das gesamte Vorhaben ist in drei Phasen unterteilt. In Phase 1 schlossen sich zunächst zahlreiche europäische Partner zusammen, um die wichtigsten Bedürfnisse der kleinen und mittleren IT-Unternehmen zu identifizieren. Gleichzeitig wurden die Potenziale des „Future Internet“ in verschiedenen Branchen oder Themenfeldern identifiziert, darunter Mobilitätskonzepte, Energie, Umwelt, Logistik und Agrifood.
In der zweiten Phase, die im vergangenen Jahr endete, wurden Grundlagentechnologien entwickelt, auf denen IT-Unternehmen mit deutlich reduziertem Aufwand neue, individuelle Lösungen aufbauen können. Dazu zählen beispielsweise Cloud-Lösungen, Sicherheitsmodule und zahlreiche Schnittstellen zu weit verbreiteten Softwaresystemen und Endgeräten. Diese Software-Module („Generic Enablers“) stehen nach dem Open-Source-Prinzip allen Interessenten kostenlos zur Verfügung und sind in einem Katalog unter catalogue.fiware.org auffindbar.
Bremer Institut koordiniert IT-Förderung für die Foodlogistik
Das ATB Institut für angewandte Systemtechnik Bremen koordinierte in Phase 2 das Projekt „Fispace“, bei dem eine Plattform für die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit entwickelt wurde. Der thematische Fokus liegt dabei auf Vorhaben aus der Transportlogistik rund um verderbliche Waren wie Nahrungsmittel und Pflanzen.
In der dritten Phase sollen die Ergebnisse nun breit in der europaweiten Wirtschaft gestreut werden. Mit diesem Ziel hat die EU insgesamt 16 länderübergreifende Acceleratoren gestartet, die sich unterschiedlichen Schwerpunkten widmen. Für Startups und KMU aus dem Nordwesten ist der Bereich Agrifood besonders interessant, da hier neue Ideen in den regional starken Branchen Logistik, Nahrungsmittel und Landwirtschaft gefördert werden. Darüber hinaus ist Projektkoordinator Harald Sundmaeker vom ATB direkt vor Ort in Bremen erreichbar – ein kleiner Heimvorteil. Dieser Accelerator läuft unter dem Namen „Finish“. Denkbar sind in diesem Rahmen auch Projektförderungen an den Schnittstellen von Nahrungsmitteln und Gesundheit, Umwelt, Urban Farming, Mikrologistik oder Gaming. Auch das Thema „Smart City“ ist ein zentraler Faktor.
Zweite Ausschreibung endet am 12. Mai
Die erste Ausschreibungsrunde („Call“) im Rahmen von Finish ist bereits beendet. Zu den geförderten Vorhaben zählt unter anderem der „JasimaBeveragePlanner“ der BIBA GmbH aus Bremen. Die App soll Getränkeherstellern künftig helfen, ihren Bedarf an Zutaten präziser vorherzusagen und die Beschaffung besser zu steuern, um Kosten zu sparen und Abfälle zu vermeiden.
Die zweite Ausschreibungsrunde läuft noch bis zum 12. Mai 2015. Im Antrag müssen die technischen Grundlagen, das Geschäftsmodell und die Projektplanung erklärt werden. Darüber hinaus ist ein „Letter of Commitment“ von einem potenziellen Pilotkunden gefordert, der bestätigt, die vorgeschlagene Lösung inhaltlich unterstützen und in der Praxis einsetzen zu wollen.
Insgesamt werden im Rahmen von Finish rund 50 Projekte gefördert, wobei 100 Prozent der Personalkosten und 7 Prozent Overhead bezuschusst werden – bis zu einem Gesamtbetrag von 150.000 Euro. Die Umsetzung ist innerhalb von sechs bis zwölf Monaten vorgesehen. Laut Harald Sundmaeker ist die Förderung im Vergleich mit ähnlichen Angeboten sehr attraktiv: „Ein normaler Accelerator will meistens Equity haben, aber hier müssen die Teilnehmer keine Unternehmensanteile abgeben.“
Die Bremer Beteiligung an der FIWARE-Initiative war bis jetzt laut Sundmaeker dennoch sehr verhalten, was wohl nicht zuletzt an der schwer verständlichen Konstruktion des gesamten Komplexes liegen dürfte. Mittlerweile hat die EU eine große Werbeagentur engagiert, um die Kommunikation zu verbessern.
Zusätzliche Projektförderung im Rahmen von „Challenges“
Bei denjenigen, die erreicht werden, ist das Engagement jedoch groß: An der Konferenz „Net Futures 2015“, die Ende März in Brüssel stattfand, nahmen 1100 Entwickler teil und ließen sich unter anderem in Workshops schulen, um die FIWARE-Module kennenzulernen. An einer „Challenge“ des Finish-Projekts beteiligten sich 30 Teams aus unterschiedlichen europäischen Ländern und die zehn Finalisten wurden nach Brüssel eingeladen. Die italienischen Gewinner erhielten 25.000 Euro zur Umsetzung ihrer Idee, das zweitplatzierte Team aus Berlin immerhin noch 15.000 Euro. Eine weitere Challenge wird voraussichtlich bei der Messe „Fruit Logistica 2016“, die Anfang Februar in Berlin stattfindet, gestartet. „Wir wollen die Entwicklungen aus EU-weiten Initiativen in die reale Welt bringen“, erklärt Sundmaeker.
Ob sich die Hoffnungen der EU an die umfangreiche und recht komplexe Initiative erfüllen werden, muss sich noch zeigen. Wer die Auseinandersetzung mit Formularen und (englischer) Verwaltungssprache nicht scheut, findet jedoch möglicherweise attraktive Fördermöglichkeiten für neue Projekte vor.
Weitere Informationen: www.fiware.org