Inspiration vom Ex-Bürgermeister: Scherf zu Besuch bei Studierenden
Mit den dualen Studiengängen, die der Förderverein bremen digitalmedia trägt, soll den Studierenden mehr als reines Informatikwissen geboten werden: Sie sollen auch über den Tellerrand schauen können und nützliche „Soft Skills“ erwerben. Eine außergewöhnliche Gelegenheit dafür bot kürzlich wieder der Kaminabend des Dualen Studiengangs Informatik (DSI), bei dem Bürgermeister a.D. Henning Scherf zu Gast war. Die Studierenden erhielten nicht nur außergewöhnliche Einblicke in die jüngere bremische Geschichte, sondern konnten auch Parallelen ziehen zwischen ihrem dualen Studium und dem erfolgreichen Karriere-Start des Bürgermeisters.
Wenn die Obrigkeit einem nicht helfen will, muss man die Dinge eben selbst in die Hand nehmen
Diese Erfahrung machte Henning Scherf schon früh im Leben. Lebhaft schilderte der ehemalige Bremer Bürgermeister seinen Werdegang und präsentierte den Zuhörern lehrreiche Anekdoten aus seiner langen politischen Karriere. Eine zentrale Motivation, diesen Lebensweg einzuschlagen, basierte demnach auf seinen Erfahrungen als Schülersprecher: Er habe von der Schulleitung und anderen Entscheidungsträgern immer wieder zu hören bekommen, dass etwas „nicht geht“ oder rechtlich nicht zulässig sei. Als er sich auf die Suche nach den entsprechenden Gesetzen machte, habe er aber keine gefunden. Damals fasste er den Entschluss: „Das ist eine Herrschaftstechnik, die man knacken muss.“ Also habe er sich für ein Jura-Studium entschieden, obwohl seine Eltern darüber sauer waren – er hätte eigentlich Pastor werden sollen.
Scherf ermutigte die Studierenden auch mit einer anderen Erinnerung, den eigenen Kopf zu bewahren. Mit 27, als er bereits für eine Bremer Rechtsanwaltskanzlei arbeitete, bewarb er sich um einen Verwaltungsposten in Niedersachsen. Eine Woche lang musste er in Goslar vorsprechen. „Da bin ich auch frech geworden“, erzählte der SPD-Politiker – und dies sei nicht bei allen gut angekommen. „Aber ein CDU-Mann hat mich durchgekämpft. Er meinte, sie brauchen nicht nur Duckmäuser, sondern auch Leute, die mal den Mund aufmachen.“
Frühe Berufserfahrung stärkt das Selbstbewusstsein
Den Mut für diesen selbstbewussten Auftritt hatte Scherf aufgebracht, weil er trotz seines jungen Alters bereits über umfassende Lebenserfahrung verfügte. Zusätzlich zum Studium hatte er schon Berufserfahrung gesammelt und sich in der Partei engagiert. Für die anwesenden DSI-ler*innen in der „Lemon Lounge“ war dies eine weitere Bestätigung, dass sie mit der Verbindung von Studium und Praxis auf dem richtigen Weg sind. Allerdings wandte Scherf ein, dass er einen Punkt heute anders machen würde: Mit Mitte 20 hatte er bereits eine Familie gegründet. „Ich freue mich, dass es gutgegangen ist, aber ich hätte meine Ausbildung gerne weitergeführt“, erklärte er. Die Promotion hängte er zwar später noch dran, jedoch verzichtete er auf einen attraktiven Auslandsaufenthalt.
Während Scherf schon frühzeitig durch seinen eigenen Kopf auffiel, war seine politische Karriere gleichzeitig davon geprägt, dass er immer wieder den Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen suchte – und zwar mit Erfolg, sodass er von Vertretern des gesamten politischen Spektrums geschätzt wurde. Am deutlichsten wurde dies während seiner zehnjährigen Zeit als Präsident des Senats und Bürgermeister: Obwohl er zunächst eine Koalition mit den Grünen bevorzugt hatte, stand er lange an der Spitze einer vergleichsweise harmonisch arbeitenden Großen Koalition. Auch auf der Bundesebene führte er die Parteien als langjähriger Vorsitzender des Vermittlungsausschusses im Bundesrat zu tragfähigen Kompromissen.
„Bei Demos gegen mich bin ich mitgelaufen“
Vor seiner Zeit als Bürgermeister (1995 bis 2005) war Scherf schon 17 Jahre als Senator aktiv, unter anderem in den Ressorts Soziales sowie Bildung und Wissenschaft. Dort fiel er bereits dadurch auf, dass er keine Berührungsängste mit politischer Konkurrenz hatte. „Bei Demos gegen mich bin ich mitgelaufen“, berichtete er. „Ich hab zu den Leuten gesagt: Ich will wissen, was ihr denkt – nicht nur das, was der Generalsekretär eurer Organisation in seiner Rede sagt.“
Als Sozialsenator übernachtete er einmal bei Hausbesetzenden, sehr zum Ärger der Polizei. „Es hat geklappt. Wir haben anschließend alles über Verträge hingekriegt, alles wurde Schritt für Schritt legalisiert.“ Zur Polizei pflegte er auch als Bürgermeister noch Distanz und lehnte jeden persönlichen Schutz ab. „Meine Ministerkollegen aus den anderen Ländern kamen zu Konferenzen immer mit einem Polizeiwagen vorne und einem hinten. Die wurden wie Edelknackis durch die Gegend gefahren. Ich habe mich nicht vereinnahmen lassen vom Apparat. Das hat mir gutgetan.“
Bundeskanzler Kohl outete sich als Stadtstaaten-Fan
Zu Beginn des Gesprächs hatte Scherf den Studierenden vor Augen geführt, warum Bremen aus seiner Sicht eine ganz besondere Stadt ist. „Dass Bremen zusammen mit Hamburg übrig geblieben ist von den 100 freien Reichsstädten, ist ein Wunder“, erklärte er und berichtete von einem Gespräch mit Bundeskanzler Helmut Kohl. Dieser habe den zivilgesellschaftlichen Vorbildcharakter der Stadtstaaten gelobt, weil sie nicht durch Krieg, sondern durch Handel ihre Unabhängigkeit behauptet hätten. „Ihr seid der Beleg, dass Deutsche nicht nur Krieg führen können“, habe Kohl zu ihm gesagt.
Mit 67 Jahren trat Scherf als Bürgermeister zurück, um Platz für Jüngere zu machen. „Ich wollte auch ein Leben nach der Politik haben“, sagte er. Mit mittlerweile 78 Jahren ist er jedoch immer noch äußerst aktiv: Jährlich hält er rund 200 Vorträge über das Älterwerden und über die nötige Einstellung des Staats auf eine alternde Gesellschaft. Parallel dazu hat er schon mehrere Bücher geschrieben. „Ich führe ein neues Leben“, berichtete er sichtbar zufrieden. Den Studierenden wünschte er zum Abschluss, dass sie „eine spannende Arbeit finden, in der sie sich entwickeln können“.
Duales Studium Informatik
Der Kaminabend ist eine regelmäßige Veranstaltung, bei der die DSI-Studierenden mit inspirierenden Persönlichkeiten in Kontakt kommen, um Anregungen für den eigenen Lebensweg zu sammeln. Mehr Informationen zum DSI gibt es auf der Website: www.dualesstudiuminformatik.de