Wie Filmproduktion und Marketing von ChatGPT, Midjourney und Co. profitieren

Die Kreativwirtschaft befindet sich mitten im Umbruch: Künstliche Intelligenz, insbesondere generative Modelle, revolutionieren die kreative Arbeit. Wer von ihr lebt, muss neue Fähigkeiten erlernen und nicht selten das eigene Geschäftsmodell anpassen. Gleichzeitig gibt es mehr Raum für Innovation und Experimente. Wie gehen Bremer Kreative mit den Chancen und Herausforderungen um? Georg Roch von der Bremer Filmproduktion Filmflut sowie Dr. Pia Schreiber und Björn Schneider von der Marketingagentur construktiv haben uns Antworten gegeben.

Die Implementierung eines neuen KI-Tools bei Filmflut beginnt meist mit einer MS Teams-Nachricht. Einer Nachricht, die Geschäftsführer Georg Roch an sein Team schickt, manchmal um 23.30 Uhr. Der Inhalt: Ein Tutorial-Video, in dem er ein neu entdecktes KI-Tool vorstellt.

„Ich bin der leidenschaftliche Tekkie bei uns im Team und beobachte rund um die Uhr, was es Neues gibt“, schildert der 29-Jährige. „Wenn etwas interessant für unseren Arbeitsalltag erscheint, stelle ich es dem Team in einer Rundmail vor.“

Ob das KI-Tool zum Alltagshelfer wird, entscheide dann der Praxistest. ”Wenn das Team feststellt, dass es die Workflows nicht erleichtert, dann benutzt es das Tool nicht und ich höre nie wieder davon. Stellt es fest, dass es einen Mehrwehrt hat, dann wird es ziemlich schnell Teil der Alltagsroutinen. So einfach ist das eigentlich.“

Das Team ist der Filter. Ich würde nie vorschreiben, dass bestimmte Tools genutzt werden müssen.

(Georg Roch, Geschäftsführer Filmflut)

„KI“ und „Kreativwirtschaft“ – werden diese Begriffe in einem Atemzug genannt, entsteht im Kopf vieler das Bild von Dienstleister*innen, die Texte, Videos, Sounds oder Kunstwerke von einer generativen KI erstellen lassen. Für Georg Roch und das Filmflut-Team hat Künstliche Intelligenz allerdings eine andere Bedeutung.

KI in der Filmproduktion: Filmflut nutzt Tools vorwiegend für Routineaufgaben

KI wird vorwiegend bei Tätigkeiten genutzt, die rund um die eigentliche kreative Arbeit zu erledigen sind: Beim Projektmanagement, beim Archivieren, bei der Preiskalkulation, beim Visualisieren von Ideen oder auch bei Korrekturläufen. KI ist im Alltag der Bremer Filmproduktion weniger ein kreativer, mehr ein administrativer Partner. „In unserem Projektmanagement-Tool Notion pflegen wir beispielsweise unser internes Wiki zu laufenden Prozessen, Kunden, genutzten Tools und Ähnlichem. Seit dort KI integriert ist, können wir sie diverse Dinge fragen. Wo liegt eine bestimmte Datei? Wie ist der Stand in einem bestimmten Projekt? Wo finde ich benötigte Daten? Das spart sehr viel Zeit.“ 

Ein weiteres Beispiel: Bildkorrekturen. „Wenn ein Protagonist bei einem Dreh vergisst, seine offizielle Firmenkleidung zu tragen, gibt es manchmal den Wunsch von Kunden, dass wir das Firmenlogo nachträglich reinretuschieren. Das war früher zeitaufwendige Kleinarbeit, die jetzt eine KI übernehmen kann.“

Zusätzlich zur Zeiteffizienz, die sich auch in reduzierten Projektkosten beim Kunden bemerkbar machen kann, ermöglicht KI dem Filmflut-Team noch etwas anderes: schnelle technische Qualitätssteigerung. „Ein Paradebeispiel dafür ist der Adobe Voice Enhancer, der Audio-Dateien verbessert. Wir drehen ja viel für Industriekund*innen, also häufig draußen oder in Lagerhallen. Da kann es vorkommen, dass Windgeräusche oder Hall die Sprachqualität einer Aufnahme beeinträchtigen. Für ein perfektes Ergebnis hätte man früher entweder nochmal neu aufzeichnen oder eine intensive Sound-Nachbearbeitung absolvieren müssen. Mit dem Voice Enhancer entfällt das.“

 

KI im Marketing: Bremer Agentur construktiv schöpft kreative Möglichkeiten voll aus

Wie es aussehen kann, wenn Videos nicht nur mit KI optimiert, sondern komplett mit ihr erstellt werden, hat die Bremer Marketingagentur construktiv jüngst gezeigt: mit dem Musikvideo von Ben Gaya, Europas erstem AI-Sänger. Wie Ben aussieht, was sein Instagram-Account veröffentlicht, wie seine Musik klingt und wie das Video zu seinem Debüt aussieht – all das basiert auf Künstlicher Intelligenz. Und weil construktiv die Experimentierräume, die KI möglich macht, ganz bewusst ausgiebig nutzt.

„Als Ende 2022 die verbesserte Version von ChatGPT 3.5 erschienen ist, hatten wir zwei Gedanken“, erinnert sich construktiv-Geschäftsführer Björn Schneider. „Der erste war ‚Oh cool, damit kann man echt viel machen.‘ Der zweite war ‚Oh Mist, wenn eine Maschine das alles kann, was machen wir dann eigentlich noch?‘. Unsere Antwort darauf war, eine 25-köpfige Task Force ins Leben zu rufen, die das Thema KI intensiv aus allen Perspektiven beleuchtet hat.“

Sich selbst Zeit im Arbeitsalltag zu nehmen, um neue Tools vorurteilsfrei kennenzulernen und auszuprobieren – und diese Zeit auch Mitarbeitenden zu geben – sei die wichtigste Voraussetzung, um zukunftsfähig zu bleiben, ist Björn Schneider überzeugt. „Ohne dazuzulernen, geht es nicht.“

 

Vielen würde aber die Geduld fehlen, sich in Ruhe mit Tools auseinanderzusetzen: „Bleiben wir mal beim Beispiel Discord: Wenn ich mich das erste Mal hinsetze, um bei Midjourney ein Bild zu generieren, kann ich mich nicht einfach so einloggen. Ich brauche dafür Discord. Hab ich das nicht, muss ich dafür erst einmal ein Setup machen, Kreditkartendaten angeben unter anderem. Anschließend gilt es zu verstehen, wie die Benutzeroberfläche funktioniert und welche Informationen der Bot braucht, um das Bild zu generieren, das ich haben will. Wer es überhaupt bis zur ersten Eingabe schafft, ist dann oft vom Ergebnis enttäuscht, zweifelt die Qualität des Tools an und wendet sich von ihm ab. In Wirklichkeit aber waren die  Informationen, die dem Bot als Prompt gegeben wurden, unzureichend. An solchen Stellen muss man aber weitermachen.“

Nur wer die KI-Entwicklung jetzt mitgeht, hat die Chance, sie mitzugestalten und in eine positive Richtung zu lenken.

(Pia Schreiber, Senior Content Spezialist bei construktiv)

construktiv hat eine Menge ausprobiert in den zurückliegenden Monaten, mit der Schwesterfirma Anyland ein eigenes AI Content Studio gegründet und gerade läuft die geschlossene Beta-Phase eines komplett inklusiven Chatbots unter dem Namen xtense.ai, der in einer weiteren Schwesterfirma entwickelt wird. Das Ziel der Bremer Agentur: immer auf der Welle aktueller Entwicklungen surfen. Oder besser noch: Ihr immer eine Nasenlänge voraus sein. Daher engagiert sich Pia Schreiber auch im KI Ressort des Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V.

Gerade erst hat der Verband ein KI-Playbook herausgegeben, an dem construktiv-Mitarbeiterin Pia Schreiber mitgearbeitet hat. „Mit solchen Publikationen, dem BVDW-Podcast und anderen Aktivitäten wollen wir die nach wie vor bestehenden Ängste der Menschen reduzieren und den Blick auf die Vorteile neuer Technologien lenken“, erzählt sie.

Weniger Arbeitsplätze durch KI?

Dass die neuen Technologien Menschen arbeitslos machen, kann construktiv für Digitalagenturen derzeit nicht bestätigen. Im Gegenteil: „Wir selbst haben gerade erst offene Stellen in der Onlineredaktion ausgeschrieben, weil wir weiterhin Kolleginnen und Kollegen brauchen, die eine gute Schreibe oder ein gutes Auge haben“, berichtet Björn Schneider. „Auch wenn wir KI nutzen, werden wir immer Menschen brauchen, die die KI-Ergebnisse bewerten. Das betrifft alle Bereiche, von Konzeption über Kreation bis hin zur Redaktionsplanung.“

Wir ersetzen den Mensch nicht, aber die Werkzeugkiste, die der Mensch hat, ist jetzt deutlich größer.

(Björn Schneider, Geschäftsführer construktiv)

Dass die Kombination von Mensch und Maschine unschlagbar sei, davon ist auch Pia Schreiber überzeugt: „Wenn du KI und Mensch verquickst, dann kriegst du heute das zeiteffizienteste und qualitativ beste Ergebnis. Wer aktuell ausschließlich auf KI setzt, kann zwar sehr viel Zeit sparen, bekommt aber Ergebnisse, die qualitativ nicht so hochwertig sind. Arbeiten umgekehrt nur Menschen an einem Auftrag, ist die Qualität vermutlich schon recht gut, würde sich aber noch steigern lassen, und der Zeitinvest ist immens höher.“

Im Alltag der Filmproduktion Filmflut gibt es durchaus Gewerke, die zunehmend von einer KI und seltener vom Menschen übernommen werden. „Übersetzung ist so ein Beispiel“, erzählt Georg Roch. „Vor zwei Jahren sollten wir mal etwas auf Chinesisch machen, das war ein total großer Struggle. Wir brauchten erst einmal jemanden, der die Texte übersetzt. Und dann noch jemanden, der sie einsprechen kann. Heute ist das viel einfacher. Wir können Texte in Sekundenschnelle in alle Sprachen übersetzen lassen, die es gibt.“

Beim finalen Einsprechen von Texten setzt Filmflut allerdings noch häufiger auf echte Sprecher*innen als eigentlich nötig. „Wir sind da ein bisschen emotional. Wir haben Sprecher*innen, mit denen wir schon lange gerne zusammenarbeiten. Außerdem kann man einen echten Menschen im Produktionsprozess aktuell doch noch besser und unmittelbarer feedbacken.“

Veränderungsdruck durch KI: Neue kreative Dienstleistungen und Produkte

Dass kreative Dienstleister*innen ihr Dienstleistungsportfolio und ihr Produktangebot verändern müssen, um zukunftsfähig zu sein, davon sind sowohl construktiv als auch Filmflut überzeugt – und tun es längst. construktiv macht seine KI-Produkte und -Dienstleistungen offensiv sichtbar. Wer die Agentur-Website besucht, findet bereits einen eigenen Menüpunkt zum Thema, der alle Angebote zusammenfasst. Etwas, das Seltenheit hat in der Bremer Werbeszene.

Georg Roch sieht für seine Firma währenddessen großes Entwicklungspotenzial in einem Unternehmensbereich, für den Filmflut immer bekannter wird: Visual Effects Medien. Um die Produktionen effizient und trotz kleinerem Team günstig bewerkstelligen zu können, nutzt die Produktionsfirma bereits eine Vielzahl an Tools, um den Workflow zu optimieren. Hier sei es strategisch wichtig, weiterhin das gesamte kreative Potenzial zu nutzen, das KI bietet.

FILMFLUT GbR

FILMFLUT produziert Imagefilme, Produktfilme, 3D Visualisierungen, Erklärfilme, Recruitingfilme für Industrie und Mittelstand. Die 15-köpfige Agentur bietet außerdem innovative digitale Lösungen in den Bereichen 2D- und 3D-Animationen, Media-Software, VFX und Fotografie.

construktiv GmbH

construktiv ist eine Digitalagentur mit über 100 Mitarbeitenden an den Standorten Bremen, Berlin und Erfurt. Sie umfasst die Geschäftsbereiche Social Media & Influencer Marketing, Digital Advertising, Content Marketing & SEO sowie Web & Commerce.