Mängel in der Medienpolitik
Medienmeile Bremen und bremen digitalmedia kritisieren Koalitionsvertrag und fordern eine Neuordnung der Mittel zur Vermittlung von Medienkompetenz
- Mehr als 90 Initiativen im Land Bremen vermitteln Medienkompetenz – eine gezielte Koordination erfolgt dabei nicht
- In vielen Branchen fehlen Mitarbeiter mit Medienkompetenz
- Bürgerrundfunk ist teuer und in der bisherigen Form in der neuen Medienwelt verzichtbar – die Mittel wären in anderen Projekten besser investiert
- Ehrenamtliches Gremium sollte Mittel nach klaren Kriterien vergeben
Bremen, 29.08.2011. Der Koalitionsvertrag von SPD und Grünen in Bremen wird der angestrebten Weiterentwicklung von Medienkompetenz und Medienbildung nicht gerecht. Diese Meinung vertreten die Interessengemeinschaft Medienmeile Bremen und der Verein bremen digitalmedia. Um die unübersichtlichen Strukturen in diesem Bereich sinnvoll zu ordnen, fordern sie die Gründung eines Expertengremiums und die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs mit Leitlinien für die Vergabe der Mittel. Dringend benötigte Projekte – beispielsweise in Schulen und in der Lehrerausbildung – können nach Meinung der beiden Verbände durch die Abschaffung des kaum genutzten Bürgerrundfunks finanziert werden. Dieser koste das Land jährlich fast eine Million Euro und hat in Zeiten von YouTube und Facebook seine Relevanz verloren.
Während sich die Medienwelt in den vergangenen Jahren rasant gewandelt habe, setze die Koalitionsvereinbarung auf eine Verstetigung der überholten Strukturen, meinen die Medienmeile und bremen digitalmedia. So könne das erklärte Ziel, Medienkompetenz und Meinungsvielfalt in Bremen und Bremerhaven zu fördern, kaum erreicht werden. Insbesondere im Bildungsbereich sei es wichtig, junge Menschen effektiver an den kompetenten Umgang mit Medien heranzuführen, um sie auf die Anforderungen in der Berufswelt vorzubereiten. In fast allen Wirtschaftszweigen steige der Bedarf an Mitarbeitern mit Medienkompetenz rasant, aber auch für die persönliche Entwicklung sei der geschulte Umgang mit den neuen medialen Möglichkeiten wichtig.
Die Kritik von Medienmeile Bremen und bremen digitalmedia basiert auch auf den – aus ihrer Sicht – ernüchternden Ergebnissen des Runden Tischs zur Bremer Medienkompetenz, „BreMeKo“. Dieser war im vergangenen Jahr vom Senat gegründet worden und hatte schon bei der Auftaktveranstaltung gezeigt, dass mehr als 90 unterschiedliche Einrichtungen in Bremen Medienkompetenz vermitteln. Eine Vernetzung und sinnvolle Koordination finde jedoch bis jetzt nicht statt – daran ändere weder der kürzlich übergebene BreMeKo-Abschlussbericht noch die Koalitionsvereinbarung etwas. Dabei bestünde in diesem Bereich die Möglichkeit, die Effektivität der Maßnahmen durch bessere Steuerung und Zusammenarbeit massiv zu erhöhen. Bremen könne es sich nicht leisten, Mittel ineffizient versickern zu lassen.
Gelder für erfolgversprechende Projekte können nach Meinung von bremen digitalmedia und Medienmeile Bremen vor allem durch Abschaffung des Bürgerrundfunks (RadioWeser.TV) freigesetzt werden. Von den Regierungsparteien wird dessen Finanzierung weiterhin befürwortet. „Ein wichtiger Bestandteil der Medienpolitik im Land Bremen ist die Partizipation und damit verbunden die weitere Existenz und Entwicklung der Bürgermedien in beiden Städten“, heißt es zur Begründung im Koalitionsvertrag. Repräsentative Nutzerzahlen gibt es für RadioWeser.TV jedoch nicht. Die Nutzergruppen scheinen seit Jahren unverändert, jüngere Generationen werden kaum erreicht. Diese haben durch Smartphones und Flipcams sowie über Youtube, Internetradio, Twitter und Facebook längst eigene Wege gefunden, sich Gehör zu verschaffen – angesichts der Möglichkeiten der neuen Medien ist ein Offener Kanal im Kabelnetz und DVB-T inzwischen bedeutungslos.
Darüber hinaus verfügt das kleinste Bundesland auch schon über eine eigene öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, in deren Gremien Vertreter zahlreicher gesellschaftlicher Gruppierungen vertreten sind. Ein Mangel an Partizipationsmöglichkeiten kann angesichts der kostenlosen privaten und öffentlich-rechtlichen Angebote also nicht mehr festgestellt werden.
Auch zur Vermittlung von Medienkompetenz ist der Bürgerrundfunk in Anbetracht zahlreicher Alternativen ein teurer Luxus. In Medienunternehmen, bei Radio Bremen, Bibliotheken und Volkshochschulen wurden inzwischen eigene Initiativen zur Vermittlung von Medienkompetenz entwickelt. Diese erreichen eine breite Masse und haben sich seit Jahren etabliert.
Um die Medienbildung im Land Bremen sinnvoll zu koordinieren und die Mittelvergabe transparent zu gestalten, richten die Medienmeile Bremen und bremen digitalmedia daher fünf Forderungen an Politik und Verwaltung:
- Einrichtung eines ehrenamtlichen Gremiums mit Vertretern aus Medienbildung und -wirtschaft
- Einrichtung einer unabhängigen Koordinierungsstelle
- Erarbeitung eines Ziel- und Kriterienkatalogs für die projektbezogene Förderung von Medienkompetenz in Bremen, der den Anforderungen der modernen Medienwelt gerecht wird
- Abschaffung von RadioWeser.TV in der jetzigen Form
- Vergabe der Mittel, die durch Abschaffung von RadioWeser.TV frei werden, durch das ehrenamtliche Gremium in einem offenen Bewerbungsverfahren
Der Kriterienkatalog für Fördermaßnahmen sollte mindestens drei Ebenen berücksichtigen:
- Medienkompetenz für alle – Vermittlung von medialen Grundfertigkeiten für alle Alters- und Gesellschaftsgruppen
- Medien-Weiterbildung für viele – Vermittlung der notwendigen Medienkompetenz an Berufstätige
- Medien-Erstausbildung für manche – Unterstützung von herausragenden Angeboten für Ausbildung und Studium in den Medien
Für Gespräche über neue Strukturen stehen die Medienmeile Bremen und bremen digitalmedia gerne zur Verfügung.