Rahmenbedingungen der „Arbeit 4.0“ rechtzeitig gestalten
Nicht nur Technologien und Geschäftsmodelle ändern sich durch die Digitalisierung, sondern auch die Arbeit und der Arbeitsmarkt. Was dies für Unternehmen und Beschäftigte bedeutet, diskutierte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles am Donnerstag mit Vertretern der Arbeitnehmerkammer und der Handwerkskammer Bremen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage: Was kann getan werden, damit die Digitalisierung sich positiv auf die Beschäftigung auswirkt – statt negativ?
Arbeit wird nicht ausgehen
Auffallend war, dass alle Beteiligten in der Digitalisierung eher eine Chance als eine Gefahr sehen, beispielsweise mit Blick auf flexiblere Arbeitszeitgestaltung und Humanisierung der Arbeit. Dies begann mit Bremens Bürgermeister Carsten Sieling, der die rund 300 Besucher im Rathaus begrüßte: Im Thema „Arbeit 4.0“ sei zwar viel Dynamik, aber er selbst sei der Überzeugung, „dass wir nicht in eine Situation kommen werden, in der uns allen die Arbeit ausgeht.“
Schließlich werde schon seit 20 bis 30 Jahren die Sorge diskutiert, dass die Digitalisierung zu hoher Massenarbeitslosigkeit führen könnte. „Trotzdem hat sich die Arbeitsmarktlage sehr unterschiedlich entwickelt und insgesamt ist eine große Zahl neuer Aufgaben und neuer Arbeit damit verbunden“, so Sieling. Er schickte jedoch hinterher, dass man sich anstrengen müsse – besonders in der Politik – damit alle Menschen weiterhin an dieser Entwicklung teilhaben.
Nahles: Verbände und Betriebe müssen aktiver werden
Bundesministerin Nahles sieht es ähnlich. „Wir haben sehr viele angstmachende Debatten in Deutschland“, kritisierte sie, und „das Ende der Arbeit“ sei eine davon. „Eine Studie von Osborne und Frey wurde rauf und runter zitiert: 46 Prozent der Arbeitsplätze würden wegfallen“, erklärte sie. „Wir haben uns das angeguckt und ich kann Ihnen sagen: Das ist Quatsch! Es ist nicht das Ende der Arbeit, über das wir diskutieren müssen, sondern dass sich die Arbeit verändert.“
Nahles wünscht sich, dass die Digitalisierung als Transformationsprozess betrachtet wird. „Daher ist meine erste Bitte, dass wir passende Qualifikation anbieten für Menschen, die Hilfe benötigen, und dass wir denen beistehen.“ Die Bundesagentur für Arbeit werde dabei eine aktive Rolle übernehmen, aber es sei auch erforderlich, dass Verbände und Betriebe die Beschäftigten sensibilisieren.
Eine Frage der Motivation
Es genüge dabei nicht, entsprechende Angebote für Arbeitnehmer zu entwickeln, so Nahles. „Wenn Sie in einen Betrieb gehen und sagen: ‚Ich hab hier was ganz Tolles: Weiterbildung!‘ Dann werden Sie Folgendes feststellen: Die Leute schreien nicht ‚hurra!‘.“
Diese Erfahrung sei beispielsweise kürzlich bei einem Unternehmen gemacht worden, dessen Mitarbeiter in der Produktion zu 66 Prozent an- oder ungelernt sind. Die Geschäftsleitung hatte ermittelt, dass dies voraussichtlich nur noch fünf bis zehn Jahre so funktionieren würde, bevor zusätzliche Qualifikationen benötigt würden. Daraufhin wurden in einem Pilotprojekt mit der Bundesagentur für Arbeit acht Module entwickelt, mit denen die Beschäftigten einen qualifizierten Abschluss erwerben konnten.
„Weiterbildung löst in Deutschland keine Ekstase aus“
„Und was passiert?“, so Nahles: „Die Finanzierung war nicht das Problem – das war alles super. Aber die Kurse wurden nicht voll. Erst als der Betriebsrat durch die Reihen gegangen ist und jeden einzelnen Arbeitnehmer angesprochen und überzeugt hat, ist es uns gelungen, das zu schaffen.“
Ihr Fazit: „Die Parole Qualifizierung und Weiterbildung für sich genommen löst noch keine Ekstase in Deutschland aus. Und es ist auch nicht so, dass jeder Handwerksbetrieb die Zeit hat zu sagen, ich mache jetzt die große Welle. Der hat andere Sachen zu tun.“ Daher sei es entscheidend, dass Unterstützung von den Kammern und Verbänden gleistet wird.
Weißbuch soll Antworten liefern
Gleichzeitig sei es allerdings auch erforderlich, die Unternehmen stärker zu sensibilisieren, betonte sie. Bei einer Umfrage in Nordrhein-Westfalen hätten 40 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen kürzlich die Meinung vertreten, dass die Digitalisierung nichts mit ihnen zu tun habe. Dies sei falsch – unter anderem deshalb, weil die Kundenwünsche immer individueller würden und sich die Anforderungen nur mit Hilfe digitaler Instrumente bewältigen ließen.
Im kürzlich veröffentlichten Weißbuch des Ministeriums, „Arbeiten 4.0“, werden Lösungsansätze in acht Gestaltungsbereichen wie „Arbeitszeit“, „Gesunde Arbeit“, „Beschäftigtendatenschutz“ und „Selbstständigkeit“ vorgestellt. „Der Geist des Weißbuchs ist, dass wir offen an die Themen herangehen“, betonte die Ministerin. „Mir geht es um die Haltung, das mit Optimismus anzupacken.“
„Veränderungen nicht erst im Nachhinein reparieren“
Martina Jungclaus, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Bremen, sieht die Handwerksbetriebe zwar grundsätzlich auf einem guten Weg, denn Technologien wie 3D-Druck, 3D-Design und Flugroboter setzten sich immer stärker durch. Neben der Technik gebe es aber noch „ganz andere Denkprozesse, die Sie anstoßen müssen“. Das Handwerk werde seinen Betrieb und sein Angebot stark verändern müssen – „hin zu der Wahrnehmung, ein Teil der gesamten Wertschöpfungskette zu sein.“ Bei der Arbeitszeitgestaltung, der Einbindung der Arbeitnehmer und bei den Geschäftsprozessen bedürfe es – nicht nur in Bremen – noch eines großen Umdenkens.
Die Beschäftigten erwarten laut Arbeitnehmerkammer-Hauptgeschäftsführer Ingo Schierenbeck, dass die Politik den Transformationsprozess zur „Arbeit 4.0“ gestaltet. „In der Vergangenheit musste man Veränderungen häufig im Nachhinein reparieren“, kritisierte er. „Wichtig ist: Weil Arbeitsplätze verloren gehen und andere entstehen, müssen die Arbeitnehmer durch Qualifizierung darauf vorbereitet werden, sodass sie eben nicht arbeitslos werden.“ Dies gelte nicht nur für Arbeitslose, sondern auch für Berufstätige. „Da fehlen uns noch die Instrumente“, erklärte er.
„In der Bildung sind wir maximal bei 2.0“
Jungclaus forderte die Entwicklung eines gesamtheitlichen Konzepts für Bildung, Arbeitswelt und Wirtschaft. Der Qualifizierungsbedarf fange nicht erst bei den Erwachsenen an, sondern schon in der Schule. „In der Bildung sind wir maximal bei 2.0 und nicht bei 4.0“, betonte sie. „Wenn wir den Betrieben – gerade im Handwerk – die Verantwortung übertragen, diese Kompetenzen bei den Mitarbeitern aufbauen zu müssen, dann ist das der falsche Weg.“ Und es sei müßig, neue Technologien zu entwickeln, wenn es an Fachkräften fehle, um sie einzusetzen.