Roboter lernen Umsetzung von ungenauen Anweisungen

Menschen sind ausgesprochen gut darin, alltägliche Aufgaben zu erledigen, auch wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Eine Mahlzeit kochen, das Badezimmer putzen, die Wäsche bügeln – stets lauern Unwägbarkeiten, weil ein benötigtes Werkzeug nicht an seinem Platz liegt, ein Gegenstand kaputtgeht oder eine andere Person dazwischenfunkt. Bei Störungen dieser Art wird meistens schnell und effektiv eine Lösung gefunden.

Roboter werden dagegen selbst von kleinen Veränderungen der erwarteten Situation oft vor unlösbare Schwierigkeiten gestellt. Das Gleiche gilt, wenn sie Anweisungen erhalten, die sie nicht interpretieren können: „Deck schon mal den Tisch!“ ist eine leichte Aufgabe für kleine Kinder, aber ein großes Rätsel für eine Maschine, die jeden einzelnen Arbeitsschritt zunächst genau definieren muss. Was soll auf den Tisch gestellt werden? Wie greift man am besten ein Glas? Und woran erkennt man überhaupt einen Tisch?

Künstliche Intelligenz, kognitive Systeme und Robotik werden zusammengeführt

Damit Roboter auch Anweisungen mit einem hohen Grad an Abstraktion oder einer unvorhergesehenen Komplikation selbständig ausführen können, müssen sie in die Lage versetzt werden, fehlende Informationen selbst zu beschaffen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat jetzt einen Sonderforschungsbereich (SFB) der Universität Bremen bewilligt, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ganz neuen Ansätzen entsprechende Technologien entwickeln. Der SFB „EASE“ (Everyday Activity Science and Engineering) startet am 1. Juli 2017 und wird in seiner ersten Förderphase von der DFG vier Jahre lang mit 10 Millionen Euro finanziert.
Rektor Bernd Scholz-Reiter sieht in der Bewilligung des SFB eine Bestätigung, dass der Wissenschaftsschwerpunkt „Minds, Media, Machines“ sich für die Uni Bremen bewährt. Der interdisziplinäre Schwerpunkt erziele „starke Synergieeffekte bei der Zusammenführung der Forschungsfelder Künstliche Intelligenz, Kognitive Systeme und Robotik“. Auch die Leiterin des Wissenschaftsschwerpunktes, Professorin Kerstin Schill, erwartet jetzt einen neuen Schub: „Der SFB wird die Grundlagenforschung, Lehre und Internationalisierung des Wissenschaftsschwerpunkts weiter stärken.“

Auch der Mensch gibt noch Rätsel auf

Im SFB EASE arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Informatik und Mathematik zusammen mit Experten aus der Linguistik sowie den Human- und Gesundheitswissenschaften. Denn um den Robotern mehr Selbstständigkeit und Effizienz beibringen zu können, soll der Mensch – zumindest teilweise – als Vorbild dienen. Bis jetzt ist jedoch auch beim Menschen noch gar nicht klar, wie er das hohe Maß an kognitiver Alltagstauglichkeit überhaupt erreicht.

EASE wird daher im Rahmen der Grundlagenforschung untersuchen, wie es uns gelingt, Aktivitäten äußerst flexibel, zuverlässig und effizient auszuführen. Dieses Verständnis soll dann eine neue Generation von Modellen für die Robotersteuerung inspirieren, um dort ein vergleichbares Niveau anzustreben.

Mehr Lebensqualität – insbesondere für Senioren und Behinderte

Obwohl die Aktivitäten sich im Bereich der Grundlagenforschung bewegen, sollen sie in absehbarer Zeit allen Menschen zugutekommen. „Wenn Roboter lernen, umgangssprachliche Anweisungen richtig zu interpretieren, ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten für die Erhöhung der Lebensqualität – zum Beispiel für Menschen mit Behinderungen oder für Senioren, die länger selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben möchten“, erklärt der Sprecher des SFB, Professor Michael Beetz. In der Forschung sind ebenfalls vielfältige Einsatzmöglichkeiten denkbar, unter anderem die Durchführung von Experimenten mit Gefahrstoffen.
Hohe gesellschaftliche Relevanz hat der SFB auch auf einer anderen Ebene: Er führt internationale Forscherinnen und Forscher zusammen und unterstützt die Idee des „Open Research“ – also die freie Verfügbarkeit der Forschungsergebnisse für alle Interessierten. So soll bewusst eine stärkere Demokratisierung der Robotik und der Künstlichen Intelligenz erreicht werden, damit die Entwicklung dieser Zukunftsfelder nicht alleine von kommerziellen Interessen geprägt wird. Ansonsten droht die Gefahr, dass sowohl das Robotik-Know-how als auch die wertvollsten Datensätze, die eine Künstliche Intelligenz erst ermöglichen, sich weltweit in wenigen Händen konzentrieren – und dies wären voraussichtlich keine europäischen Hände.

Open Research: Chance für kleine und mittlere Unternehmen

Aufgrund dieser Thematik baut die Universität Bremen in Zusammenarbeit mit weiteren internationalen Universitäten bereits seit einigen Jahren das Fundament für intensive Kooperationen im Bereich Robotik auf.
Gerade für kleine und mittlere Unternehmen, wie sie in Deutschland vorherrschen, bietet Open Research nach Angaben der Uni Bremen eine große Chance, technologisch in ihrem jeweiligen Gebiet führend zu bleiben – oder die Führung zu erlangen.

„Haushaltsmarathon“ für Roboter

Die Technologien, die im Rahmen des Bremer Sonderforschungsbereichs entwickelt werden, entstehen in Kooperation mit weiteren renommierten Einrichtungen wie dem Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld, dem Institut für Robotik und Mechatronik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie dem Lehrstuhl für kognitive Systeme der Technischen Universität München.
Am Ende der ersten Förderphase sollen die Roboter autonom einen „Haushaltsmarathon“ absolvieren können, der unter anderem das Tischdecken und die Zubereitung einfacher Mahlzeiten umfasst.