Universitäten und Fachhochschulen tun sich noch schwer mit der Einbindung von sozialen Medien in Lehre, Forschung und Verwaltung. Prof. Dr. Heike Simmet von der Hochschule Bremerhaven hat Social Media zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht und Wege aufgezeigt, die neuen Möglichkeiten effektiv zu nutzen.

Ein zentrales Anliegen der Wissenschaft besteht darin, Klarheit zu schaffen und Fehlerquellen zu beseitigen. Kein Wunder also, dass Social Media von vielen Mitarbeitern der Hochschulen zunächst einmal mit Misstrauen betrachtet werden: die spontane, fehler- und meinungsgetränkte Kommunikation in den sozialen Netzwerken scheint auf den ersten Blick so weit weg vom wissenschaftlichen Arbeiten zu sein wie es nur geht.

Auf den zweiten Blick erschließen sich durch die neuen Kommunikationsformen allerdings Potenziale, die dem Erwerb von Wissen und dem Gewinn neuer Erkenntnisse ungemein zuträglich sind. Zu den deutschen Pionieren unter den Social-Media-Nutzern in Forschung und Lehre zählt Prof. Dr. Heike Simmet, die an der Hochschule Bremerhaven Betriebswirtschaft lehrt. Sie setzt soziale Netzwerke ein, um Lernprozesse zu fördern, aber auch um Social-Media-Kompetenz als wichtige Qualifikation zu vermitteln. Nicht zuletzt forscht sie aber auch zu Themen rund um den Social-Media-Einsatz in Unternehmen.

Facebook-Umfrage weist auf Nachholbedarf hin

In Vorbereitung dieses Artikels startete Heike Simmet zunächst eine Facebook-Umfrage, um ein Stimmungsbild zu erhalten. „Wie beurteilen Sie die Social Media Nutzung seitens der Hochschulen insgesamt (z.B. Informationsübermittlung über Social Networks; Ausstattung mit Kameras, Camcordern, iPads: Nutzung sozialer Software in der Kommunikation mit Studierenden, etc.)?“, fragte sie Studierende an verschiedenen Hochschulen in Deutschland.

Das Ergebnis war eindeutig: Innerhalb von 24 Stunden kamen rund 100 Rückmeldungen, von denen keiner „sehr gut“ und nur drei „gut“ auswählten. Am beliebtesten war dagegen die Option „eher unbefriedigend“, die ein Umfrageteilnehmer als neue Auswahlmöglichkeit hinzugefügt hatte (55 Stimmen). „Ausreichend“ wurde 26 Mal angeklickt, „mangelhaft“ 13 Mal.

Angst vor Kontrollverlust

„Das ist ein sehr klares Bild für eine explorative Tendenzaussage“, kommentierte Simmet das Ergebnis. Für den Nutzen der sozialen Medien fehle an den Hochschulen noch das Verständnis. Einige hätten zwar angefangen, Social-Media-Kanäle wie Twitter für die Außendarstellung zu nutzen – meist betrieben durch die PR-Abteilung. „Aber das ist ja auch nicht wirklich ‚Social Media'“, meint sie. Social Media seien „die Weisheit der Masse“ – man müsse erreichen (und zulassen), dass die Studierenden sich äußern.

Der Spiegel zitiert in einem Beitrag zu diesem Thema den US-Bildungsmarketing-Experten John Lawlor, der auf der Plattform LinkedIn in die Runde gefragt hatte: „Was verhindert noch den Einsatz von Social Media?“ Die Antworten der Hochschulmanager hätten zwei Hauptgründe aufgezeigt: neben einer generellen Unkenntnis vor allem bei älteren Verantwortlichen bestehe die Angst, „die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren“.

Studierende liefern selbst die Anregungen

Mittlerweile geht es allerdings gar nicht mehr darum, ob Social Media an den Hochschulen in großem Umfang Einzug halten sollten, sondern nur noch darum, wie sie am besten eingesetzt werden können, um Forschung und Lehre zu verbessern. Die Anregungen dazu liefern die Studierenden im Zweifelsfall selbst, wenn sie gefragt werden. So schrieb ein Bremerhavener Student als Kommentar zu der Umfrage von Heike Simmet, dass er eine geschlossene Facebook-Gruppe für jeden Jahrgang eines Studiengangs sinnvoll fände. Dort könnten aktuelle Hinweise – z.B. Veranstaltungsausfälle – veröffentlicht werden, aber auch allgemeine Studieninformationen. Auf Facebook würden solche Beiträge eher gesehen, weil die meisten Studenten dort viel häufiger sind als auf der Hochschulseite selbst.

Datenschützer und Administratoren haben mit dem Gedanken, offizielle Hochschulkommunikation in Netzwerken wie Facebook stattfinden zu lassen, wahrscheinlich massive Probleme. Aber die Tendenz ist klar: Das Kommunikationsverhalten der Studierenden ändert sich. Die Hochschulen müssen sich darauf einstellen – und die Chancen, die sich daraus ergeben, ergreifen.

Projekte statt Klausuren

Heike Simmet, die zum Thema Neue Informations- und Kommunikationstechnologien promoviert hat, beschäftigt sich seit rund sieben Jahren mit dem Web 2.0. Sie hat in den letzten Jahren drei Studien zu diesem Thema veröffentlicht: „Social Media im Kundenservice“, „Nutzung von Social Media in Spedition und Logistik“ sowie „Social Media als Chance für kleine und mittelständische Unternehmen“. Studierende waren in die Erstellung dieser Studien jeweils stark eingebunden.

Auch in den Seminaren und bei den Prüfungsleistungen setzt Simmet zunehmend auf Projekte, die mit Hilfe digitaler Medien und Social Media umgesetzt werden. Der Lerneffekt sei dadurch wesentlich größer als durch das kurzfristige Pauken für Klausuren. „Ich habe Kontakt zu vielen ehemaligen Studierenden“, berichtet sie. „Die sagen mir alle: das, was am meisten hängen geblieben ist, sind die praktischen Arbeiten.“

Multimediales Support-Team

Die Studierenden arbeiten bei der Präsentation ihrer Projektergebnisse mit unterschiedlichen Techniken. Von Powerpoint bis zum Video ist alles an Kommunikationsmitteln erlaubt, was auch in der Arbeitswelt zunehmend Einzug hält. Da Betriebswirte allerdings meistens weder technisch noch medial geschult sind, hat Simmet den Social-Media-Gedanken nun noch intensiver in die Praxis umgesetzt: Sie hat ein studentisches Support-Team aufgebaut, das anderen Studierenden bei Schwierigkeiten hilft. „MuM Support“ heißt die Gruppe, wobei die Abkürzung für „Marketing und Multimedia“ steht.

„Wir wollen das Wissenspotenzial nutzen, das an der Hochschule vorhanden ist“, erklärt sie. „Dabei entdecken wir ganz ungeahnte Talente und holen sie in die Öffentlichkeit. Die Studierenden helfen sich dann gegenseitig.“ Ein häufiges Problem sei beispielsweise die Audio-Qualität, weil Studierende mit Handy-Kameras und ähnlich schlichten Mitteln arbeiten. Mit der Unterstützung von fachkundigen Kommilitonen seien diese Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.

Relevante Erfahrungen für die Arbeitswelt

Das Prinzip dieser sozialen Support-Community werden viele Studierende später am Arbeitsplatz wiederfinden, denn Unternehmen wie der Mobilfunk-Provider Simyo bieten mittlerweile Hilfegruppen nach dem Prinzip „Kunden helfen Kunden“ an. Aber auch firmenintern werden diese Kommunikationsformen eine wachsende Rolle spielen, glaubt Heike Simmet. „Moderne Unternehmen nutzen soziale Software, um das Potenzial ihrer Mitarbeiter voll auszuschöpfen.“ Das, was sich zurzeit an allgemeinen Kommunikationsmustern herausbilde, werde sich in Zukunft auch verstärkt firmenintern widerspiegeln.
Blogs und Wikis würden in den USA bereits jetzt von vielen Unternehmen zur Verbesserung der Mitarbeiter-Kommunikation eingesetzt, besonders in der Computerindustrie, so Simmet. „Auch in Deutschland wird das Thema zunehmend Beachtung finden.“

Interessante Links zum Thema

Spiegel Online: „Hochschulen im Web – Die unheimliche Macht der Community“

Bildungsweb: „Social Media Marketing für Hochschulen“