Studierende liefern Impulse für „Connected Commerce“ und die vernetzte Stadt
Der bremische Einzelhandel sucht den Einstieg in das digitale Geschäft: Die aktuell verfügbaren Zahlen für das Jahr 2015 zeigen ein Plus des Onlinehandels von 4,6 Prozent, während die Offlineverkäufe nur um 1,1 Prozent zunahmen. Im Onlinebereich wurde zusätzliches Personal eingestellt – im Offlinebereich wurden dagegen Stellen gestrichen.
Grundsätzlich hat der regionale Einzelhandel jedoch noch viel Luft nach oben: Im Bundesdurchschnitt wuchs der Onlinehandel 2015 um 12 Prozent. Schwierig wird es vor allem dann, wenn die Online- und Offline-Welten aufeinanderprallen: Diese Schnittstelle ist in vielen Geschäften – nicht nur in Bremen – noch sehr ausbaufähig, sofern überhaupt vorhanden. Entsprechende Erfahrungen sammelten 48 Studierende der Uni Bremen kürzlich beim „Connected Commerce Camp“ (C3), das die hmmh multimediahaus AG gemeinsam mit dem Institut ZeMKI ausrichtete.
Das Camp diente als Startschuss für die Arbeit an frei gewählten Projekten, die am 14. Januar vor einer Jury präsentiert werden. Die Digitalagentur hmmh hofft dabei auf einen Schub für die Entwicklung Bremens als „Connected City“ und auf wertvolle Einblicke in den Status Quo des vernetzten Handels. Die Universität Bremen profitiert unterdessen von einem spannenden, praxisnahen Lernformat, das bei den Studierenden sehr gut ankommt.
Praxistests bei Einzelhändlern
Die Grenzen zwischen digitalem und stationärem Handel werden immer unsichtbarer. Viele Unternehmen haben bereits erste Schritte in Richtung der digitalen Transformation unternommen, doch nur wenige verfolgen eine ganzheitliche Strategie. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des Camps an zwei Tagen untersucht, inwieweit Händler ihren Verbrauchern omnipräsente Möglichkeiten bieten, ganz nach ihren individuellen Bedürfnissen Waren zu kaufen, umzutauschen oder sich darüber zu informieren. Darüber hinaus wurde beobachtet, wie digital die Stadt Bremen wirklich ist.
Am ersten Tag des C3 begaben sich die Studenten in zwei Gruppen mit Marco Höhn, Universitätslektor für Kommunikations- und Medienwissenschaft, und Marcus Person, Managing Director bei hmmh, auf eine Reise durch die Stadt Bremen. Dabei wurde in einigen Unternehmen Halt gemacht, um unter anderem die Funktionalität sowie die Qualität der Verschmelzung von digitalem und stationärem Handel zu untersuchen. Im Fokus standen nicht die möglichen technischen Fehler, sondern konzeptionelle Defizite.
„User Experience nicht so flüssig wie erhofft“
Die Ergebnisse waren überwiegend ernüchternd. Sowohl bei einem großen Bekleidungshaus als auch bei einem Schuhgeschäft scheiterte der Umtausch eines online bestellten Pakets. Letzteres bot dabei wiederholt die Erklärung an, dass Online- und Offline-Geschäft ja auch „zwei verschiedene Paar Schuhe“ seien – immerhin eine Sprachregelung hat man sich für die Probleme offenbar bereits überlegt.
Im Coffeeshop lief es etwas besser: Das Getränk ließ sich mobil bezahlen und das Personal konnte dabei auch kompetente Unterstützung leisten. „Allerdings war auch hier die User Experience nicht so flüssig wie erhofft“, berichtet Henning Flaspöler, Creative Conceptioner bei hmmh, der das Barcamp gemeinsam mit einer Kollegin entwickelt hat.
Digitale Angebote oft sehr unkomfortabel
Bezüglich Bremens Entwicklungsstand auf dem Weg zur Connected City testeten die Studierenden unter anderem das WLAN in der Innenstadt – immerhin wirbt die Stadt damit, dass dort fast flächendeckend kostenlose Hotspots verfügbar sind. Das Problem auch hier: In der Praxis gestaltet sich die Nutzung nach Einschätzung der Tester sehr unkomfortabel – ein „ernsthaftes Problem“, so Flaspöler. Idealerweise würde man sich nur einmal anmelden müssen und hätte dann in der ganzen Innenstadt Zugriff; stattdessen müssen Nutzer an jeder Ecke einen neuen Hotspot suchen und sich neu anmelden, sofern überhaupt ein brauchbares Signal zu empfangen ist.
Darüber hinaus testeten die Studierenden verschiedene Apps wie die von Cambio und MyTaxi. Vertreter von Ubimax und der BSAG informierten die Teilnehmer des Barcamps über neue Entwicklungen im Bereich der digitalen Produkte und Dienstleistungen.
Experten von morgen schon heute einbinden
Auf der Basis dieser Erfahrungen entwickelten die Studierenden 20 verschiedene Themen, über die sie am zweiten Tag im Barcamp-Format in individuellen Sessions diskutierten, um sich anschließend in Projektgruppen zusammenzufinden. Ein zentrales Element war dabei auch der Austausch mit den Experten von hmmh – wobei die Anregungen von beiden Seiten als wertvoll eingestuft wurden. „Die Gespräche fanden komplett auf Augenhöhe statt“, berichtet Senior-Projektmanager Timo Engel.
Besonders die Einschätzung der Studierenden, an welchen Stellen der Einsatz neuer Technologien sinnvoll ist und wo nicht, ist laut hmmh sehr wertvoll. „An den Universitäten gibt es junge Menschen, die unseren Job einmal besser machen werden als wir selbst“, betont Marcus Person. „Warum also nicht jetzt schon anfangen, sie einzubinden?“
Auch seitens der Uni wird das Barcamp als „Riesenerfolg“ verbucht. „Die Studierenden waren wahnsinnig engagiert“, berichtet Marco Höhn. „Man konnte sehen, wie gut ihnen diese Form der Lehre gefällt.“ Beteiligt waren Studierende im Rahmen des Moduls Medienpraxis – vom 1. Fachsemester Bachelor bis zum 3. Semester des Masterstudiengangs. Sie arbeiten nun in gemischten Gruppen an ihren Projekten, die aus dem Camp hervorgegangen sind.
Format hat sich bewährt
Die Grundidee des Connected Commerce Camps mit dem explorativen Part und der folgenden Ausarbeitung von Ideen lässt sich nach Meinung der Beteiligten sehr gut auf andere Gruppen und Themen übertragen. hmmh denkt beispielsweise darüber nach, etwas Vergleichbares mit Mitarbeitern oder Kunden durchzuführen. Marco Höhn sieht das Modell auch für weitere Camps mit Studierenden gut geeignet, schränkt allerdings ein, dass es für kleinere Unternehmen schwierig umsetzbar wäre.
Marcus Person hofft darüber hinaus, mit den aktuellen Projekten eine stadtweite Diskussion über die stärkere Digitalisierung anzustoßen. Er würde sich freuen, wenn seitens der Stadt ein Interesse an den Erfahrungen und Ideen der Studierenden gezeigt würde. „Wir haben hier die Fachfrauen und Fachmänner der Zukunft“, so Person. „Und der Bedarf für eine bessere Infrastruktur ist da.“ Flaspöler ergänzt, dass sich auch sämtliche angesprochenen Unternehmen offen für den Erfahrungsaustausch gezeigt hätten. „Wir sehen das Camp mehr als einen Startschuss.“
Interessenten willkommen
Am 14. Januar präsentieren die Studierenden die Ergebnisse ihrer Projekte. Bei hmmh weiß man noch nicht genau, was kommen wird, ist aber aufgrund des erfolgreichen Camps sehr erwartungsfroh. „Ich bin sehr überzeugt davon, dass das Ergebnis cool sein wird“, so Person.