Wie IT-Unternehmen Schüler*innen wirklich überzeugen
Die meisten Unternehmen haben nur ein Ziel, wenn sie auf Praktikumsbörsen und Ausbildungsmessen gehen: Sie möchten die Fachkräfte von morgen für sich gewinnen. Nur wenige nutzen allerdings die Chance, Jugendliche mit ihren Fragen und Gedanken während der Berufsorientierung besser zu verstehen. Dabei wäre ein Austausch auf Augenhöhe für beide Seiten ein Gewinn – das hat unser Projekt „TandemPower“ bewiesen. Wir haben deshalb vier Tipps parat, wie Ihr Unternehmen den Kontakt zu Schüler*innen sinnvoll gestalten kann.
Seit August 2023 vernetzt bremen digitalmedia gemeinsam mit der Agentur vomhörensehen im Projekt TandemPower die Bremer Schullandschaft mit der Bremer IT-Landschaft: Je 25 interessierte Schüler*innen einer Bremer Oberschule und ein IT-Unternehmen schließen sich zusammen, um in verschiedenen Formaten die Digitalwirtschaft gemeinsam unter die Lupe zu nehmen. Berufsorientierung mal anders und jenseits von Klischees – darum gehts.
„Berufsorientierung sieht oft beispielsweise so aus: Ein Unternehmensvertreter steht vor einer Gruppe junger Menschen, hat eine Power-Point-Präsentation dabei und rasselt viele Informationen runter“, schildert Gisa Grodde von vomhörensehen, die zusammen mit Eva Koball von bremen digitalmedia TandemPower leitet. „So etwas gibt es bei uns nicht, ganz im Gegenteil.“ Statt vom Monolog lebt das Projekt vom Dialog, statt aufs Über-Dinge-reden setzen die Macherinnen aufs Dinge-miteinander-erleben. Und das erfordere und fördere vor allem eins: Augenhöhe.
TandemPower: Schnitzeljagd durchs IT-Unternehmen
„Wir haben in unserem Konzept ganz bewusst auf Elemente verzichtet, die eine Hierarchie zwischen den Jugendlichen und den Unternehmensvertreter*innen aufmachen könnten“, erzählt Gisa Grodde. Hin und wieder habe das zu Beginn bei den Erwachsenen zu Irritationen geführt. „Es ist für Unternehmensvertreter*innen keine gelernte Situation, mit Kolleg*innen aus dem eigenen Unternehmen und 25 Zehntklässler*innen mehrere Stunden zu verbringen. Kurze Smalltalk-Situationen an einem Messestand oder gemeinsame Arbeitsstunden im Rahmen eines Schulpraktikums sind ja etwas ganz anderes als eine digitale Rallye durch ein Unternehmen zu machen oder Jugendliche dabei zu begleiten, ihre Stärken zu reflektieren.“
Jugendliche kennen ihre Stärken erstaunlich gut.
Gisa Grodde, Co-Projektleitung von TandemPower
Stärken reflektieren? Gisa Grodde zeigt auf ein Poster hinter ihr, auf dem in großen Buchstaben „Trouble Shooting“ steht. Es ist eines von insgesamt sechs Plakaten, das in den letzten Monaten in jedem Tandem zum Einsatz kam. „Die Frage ‚Was willst du beruflich machen?‘ kann ein Zehntklässler zwar schon besser beantworten als ein Kind in der Grundschule, aber leicht fällt das dennoch nicht. Was Jugendliche aber erstaunlich gut kennen, sind ihre Stärken.“ Deshalb habe das TandemPower-Projektteam ganz bewusst keine Medien entwickelt, mit denen Berufsbilder beschrieben werden, sondern den umgekehrten Weg gewählt. „Unsere Poster fassen Eigenschaften und Interessengebiete zusammen, die bestimmte Persönlichkeitstypen mitbringen. Die Schüler*innen erarbeiten, wo sie sich zuordnen würden, und bekommen dann erste Hinweise darauf, welche Ausbildungsberufe in der IT entsprechend gut zu ihnen passen.“
TandemPower: Auch Unternehmen räumen ihre Klischees auf
An den gemeinsamem Workshoptagen wurde vorwiegend in Kleingruppen gearbeitet – je ein*e Unternehmensvertreter*in mit fünf Schüler*innen. Das schuf Nähe, die in großen Diskussionsrunden selten aufkommt und durch die nicht nur die Jugendlichen Vorurteile gegenüber der Digitalwirtschaft abbauen konnten, wie Gisa Grodde beobachtet hat: „Schubladendenken existiert natürlich auch in Unternehmen. Projekte wie TandemPower wollen helfen, dieses Denken aufzubrechen – an einigen Stellen ist uns das bereits gelungen.“
So hätten zum Beispiel Schüler*innen mit Fluchterfahrung teilgenommen, die in den Kleingruppen über ihre aktuelle Situation sprachen. „Es waren auch Jungs dabei, die neben der Schule arbeiten, um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Solche Begegnungen fördern in Unternehmen eine größere Offenheit gegenüber Individuen, die man möglicherweise auf den ersten Blick nicht als potenzielle Nachwuchskräfte betrachtet hätte.“
Vier Tipps, wie sich Unternehmen erfolgreich mit Schüler*innen vernetzen
#1 Begegnungen schaffen
Um Schüler*innen von sich zu überzeugen, muss man sie überhaupt erstmal treffen – am besten persönlich. Dafür können am einfachsten Praktikumsmessen oder ähnliche von Dritten organisierte Formate genutzte werden.
Aber Unternehmen können auch selbst aktiv werden. Wie wäre es beispielsweise, mit Schulen in der Nähe Kontakt aufzunehmen und einen Besuch anzubieten? Oder warum nicht mal dem Graffitikurs des Jugendzentrums eine alte Mauer auf dem eigenen Garagenhof als Übungsfläche anbieten und sich selbst dabei in die Technik des Sprayens einführen lassen? Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und die ersten Begegnungen dürfen gern auch schon altersgerecht in der Grundschule stattfinden.
#2 Bei Begegnungen gut zuhören
Die Jugendlichen von heute sind die Fachkräfte von morgen – und deshalb sollten Unternehmen gut zuhören, was Jugendlichen wichtig ist. Das sind überraschend oft ganz andere Dinge als man vielleicht denken mag, vor allem bei Jugendlichen mit Migrationsgeschichte. Wer gut zuhört, bekommt wertvolle Impulse für den eigenen Recruiting-Prozess und für die Transformation, die in der Arbeitswelt über kurz oder lang anstehen wird.
#3 Begegnungen divers gestalten
Sollten Auszubildende mit Schüler*innen in Kontakt kommen, weil sie sich altermäßig nah stehen? Oder ist es doch besser, die Führungskraft zu schicken, um den Jugendlichen Wertschätzung zu signalisieren? Im Projekt TandemPower haben wir sehr gute Erfahrungen mit gemischten Unternehmensteams gemacht, bei denen von Geschäftsführung über Personalabteilung bis hin zur Software-Entwicklung viele verschiedene Unternehmensbereiche vertreten waren. Der Vorteil für das Unternehmen liegt dabei auch klar auf der Hand: Die Erkenntnisse aus den Begegnungen verteilen sich automatisch in verschiedene Bereiche. Und weil sich das Klischee, dass in der IT mehr Jungs als Mädchen arbeiten noch hartnäckig hält, sollten in jedem Fall auch Frauen aus dem Unternehmen dabei sein, nicht nur Männer.
#4 Keine Langeweile aufkommen lassen
Ob am Messestand, im Praktikum oder bei ganz anderen Gelegenheiten: Nichts langweilt Schüler*innen mehr als theoretische Abhandlungen über Berufsbilder. Besser ist es, den Nachwuchs ausprobieren zu lassen und gemeinsam kleine Experimente oder Übungen zu absolvieren. Eine Idee, die in unserem Projekt TandemPower Junior am Zukunftstag gut funktioniert hat: Mit Scratch Junior ein interaktives Poster zum eigenen Traumberuf programmieren. Alternativ lassen sich mit dem Makey Makey-Kit Gruppenaufgaben designen, die Spaß machen. Das Angebot an Bildungstools, die Lust auf IT machen ist groß – Unternehmen sollten es nutzen.
Was wir sonst noch so aus einem Jahr TandemPower mitgenommen haben, teilen wir am 30. Mai ab 15 Uhr bei unserem TandemPower-Finale in den Pusdorf Studios. Treffen Sie einige der bisherigen Teilnehmenden und erfahren Sie mehr darüber, wie Berufsorientierung lebendig und nachhaltig gestaltet werden kann. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.