Zukunftsatlas 2016: Bremens Stärke ist die Digitalisierung
In Fragen der Zukunftsfähigkeit rangiert die Stadt Bremen nur im hinteren Mittelfeld der 402 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte – auf Rang 282 findet sie sich im „Zukunftsatlas 2016“ wieder, der Ende Mai vom Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos veröffentlicht wurde. Die Studie enthält jedoch einen großen Lichtblick: Beim Stand der Digitalisierung zählt Bremen bundesweit zu den Top 50, im Norden neben Hamburg, Hannover und Flensburg sogar zu den Top 4. „Sehr gute Chancen“ räumt Prognos der Hansestadt im Bereich der Digitalisierung ein.
Im „Zukunftsatlas“ bewerten die Wirtschaftsforscher jede Stadt und jeden Kreis in den Bereichen „Demografie“, „Wohlstand und Soziale Lage“, „Arbeitsmarkt“ sowie „Wettbewerb und Innovation“. Bremen gelingt es hier wie dem Rest des Nordens kaum, verlorenen Boden gegenüber dem Süden gutzumachen. „Das doppelte Gefälle zwischen West und Ost sowie Süd und Nord bleibt unverändert“, erklärt Prognos-Projektleiter Peter Kaiser. „Umso bemerkenswerter ist, dass immer mehr ostdeutsche Großstädte sich gut entwickeln.“
Digitalisierung als entscheidender Standortfaktor für Regionen
Im erstmals erstellten „Digitalisierungskompass“ findet jedoch auch Bremen lobende Erwähnung. „Mit einer 5-Sterne-Plus-Wertung liegt hier Zukunftsatlas-Spitzenreiter München vorn“, teilt Prognos mit. „Doch auch einzelne Regionen aus dem Mittelfeld des Zukunftsatlas-Rankings sind ungewöhnlich gut aufgestellt. Vier von fünf Sternen erhalten die Städte Bremen (Rang 282), Kaiserslautern (Rang 247) und Offenbach a.M. (Rang 238).“
Der Digitalisierungskompass gibt laut Prognos Hinweise auf regionale Stärken und Schwächen „beim Wandel hin zu einer technologiegetriebenen und immer stärker digitalisierten Ökonomie“. Das Ziel für Unternehmen müsse sein, die aus der Digitalisierung resultierenden strategischen Anforderungen umzusetzen und aktiv neue Chancen zu ergreifen. „Digitalisierung hat sich damit zu einem entscheidenden Standortfaktor für Regionen entwickelt“, so Prognos. „Deshalb wurde ihm im Zukunftsatlas
eine neue Kategorie gewidmet.“
Wichtig für Unternehmen seien nicht nur Know-how und Erfahrung, sondern auch Mitarbeiter, die im Umgang mit der Digitalisierung geschult sind. „Digitales Know-how der Beschäftigten ist der langfristige Treiber der Digitalisierung“, betont Prognos.
Drei zentrale Anforderungen
Für Standorte ergeben sich aus dem Digitalisierungskompass im Wesentlichen drei Anforderungen:
- Sie benötigen leistungsstarke IT-Dienstleister, die den Prozess der Digitalisierung in anderen Branchen sowie in Wissenschaft und Verwaltung unterstützen.
- Sie benötigen Unternehmen aus anderen Branchen, die die Chancen der Digitalisierung frühzeitig erkennen, ergreifen und dann weitere Firmen mitziehen.
- Sie benötigen Bildungseinrichtungen, die zum einen viele IT-Fachkräfte ausbilden, darüber hinaus aber auch allen anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen das notwendige Verständnis für digitale Technologien vermitteln, damit sie es in alle Branchen hineintragen.
Bei Dienstleistern und Fachkräften gut aufgestellt
Bremen ist in diesen Bereichen überwiegend gut aufgestellt. So liegen Bremer Agenturen im bundesweiten Internetagentur-Ranking des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) jedes Jahr sehr weit vorne. Die Kompetenz bei den Dienstleistern ist also vorhanden.
Auch um die Ausbildung in IT-Berufen ist es gut bestellt. Besondere Highlights sind dabei die dualen Bachelor- und Master-Studiengänge im Bereich Digitale Medien, die vom Förderverein bremen digitalmedia getragen werden. Aber auch darüber hinaus stehen viele Angebote zur Verfügung, die dem Arbeitsmarkt zahlreiche kompetente Mitarbeiter zuliefern.
Viel Luft nach oben bei den Schulen
In den Schulen ist die Situation dagegen schwieriger: Nur zwei Bremer Einrichtungen bieten Informatik-Leistungskurse an. Insgesamt ist es für das Schulsystem – nicht nur in Bremen – eine enorme Herausforderung, auf den rasanten digitalen Wandel ähnlich rasant zu reagieren. Weder die Unterrichtsinhalte noch die Lehrmethoden reflektieren daher zurzeit in angemessenem Maße die Arbeitswelt, die von den Schülern später mitgestaltet werden soll – oder auch nur die Welt, in die sie jeden Tag nach Schulschluss wieder eintauchen. Hier ist noch sehr viel zu tun, aber auch Unternehmen können ihren Teil dazu beitragen, wie das Beispiel der Schulpatenschaft zwischen der encoway GmbH und der Gesamtschule Bremen-Ost (GSO) zeigt.
Anderen Branchen nehmen Impulse aus der IT auf
Viele positive Ansätze sind in Bremen unterdessen bei der Digitalisierung traditioneller Branchen zu beobachten. Beispielsweise hat die dbh Logistics IT AG bereits in den 70er Jahren angefangen, die gesamte Hafenwirtschaft mit Informationstechnologie zu vernetzen. Mittlerweile nutzen internationale Konzerne die Software des Unternehmens ebenso wie kleine Speditionen und ihre Lkw-Fahrer. bremen digitalmedia unterstützt gezielt Initiativen, um Logistikwirtschaft und IT noch enger zusammenzuführen.
Ein anderes Beispiel ist die Gesundheitsbranche, die auf dem Weg zur Digitalisierung ähnlich große Hürden zu nehmen hat wie der Bildungsbereich. Mit der MeVis Medical Solutions AG sitzt ein weltweit tätiges Medizinsoftware-Unternehmen in der Hansestadt, aber auch auf der Anwenderseite werden die Impulse aufgenommen. Der Klinikverbund Gesundheit Nord hat kürzlich eine Kooperationsvereinbarung mit dem Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik der Universität Bremen (TZI) geschlossen. Das TZI arbeitet in Projekten aber beispielsweise auch mit örtlichen Pflegediensten zusammen.
Freies WLAN in der Innenstadt und Walle
In Politik und Wirtschaft gibt es unterdessen Bestrebungen, Bremen auch in einem anderen Bereich zu den digitalen Vorreitern zu machen: Schon in diesem Jahr könnten die Innenstadt und Walle über ein frei zugängliches WLAN-Netz verfügen. Die Idee existiert bereits seit längerem, allerdings waren die Haftungsrisiken bis jetzt zu groß. Auf Druck des Europäischen Gerichtshofs will die Bundesregierung nun aber das Telemediengesetz ändern und den Weg für kostenlose Angebote damit erheblich erleichtern.
Die CityInitiative steht bereits in den Startlöchern, um die Innenstadt durch kostenlose Internetzugänge für die Kunden der Einzelhändler und für Touristen attraktiver zu machen. Darüber hinaus ist geplant, den Stadtteil Walle zusammen mit der Freifunk Initiative Bremen und Waller Gewerbetreibenden zu einem Experimentierstadtteil für freies WLAN zu entwickeln
Jeder zehnte Arbeitsplatz ein Digitaljob
Laut Prognos wird bereits in jedem zehnten deutschen Jobangebot ein digitaler Impulsgeber“ gesucht – gemeint sind Berufsgruppen, die die Digitalisierung in der Wirtschaft vorantreiben und umsetzen. Von insgesamt 3,5 Millionen erfassten Stellenausschreibungen in Deutschland entfielen im Jahr 2015 demnach rund 423.000 auf Digitaljobs.
„Die vielfältigen Bemühungen, Bremen in diesem Bereich zu stärken, zahlen sich aus“, wertet Björn Portillo, 1. Vorsitzender von bremen digitalmedia, das Prognos-Ergebnis. „Besonders im Bereich der IT-Dienstleistungen wurden in den vergangenen Jahren viele Arbeitsplätze geschaffen. Langsam springt der Funke der Digitalisierung aber auch verstärkt auf andere Branchen über. Jetzt ist es wichtig, dass dieser Trend durch die Schaffung der notwendigen politischen Rahmenbedingungen weiter unterstützt wird, zum Beispiel durch die Stärkung der digitalen Medien in der Bildung und Ausbildung. Das ist Bremens beste Chance, sich insgesamt in Sachen Zukunftsfähigkeit deutlich weiter vorne zu positionieren.“